Tanker ohne Kapitän

ClausAllgemein

In einem seiner letzten Interviews äußerte sich der Philosoph Hans Jonas (1903 – 1993) im „Spiegel“ über den Zustand der Erde sinngemäß: „Wenn ich Kapitän auf einem Tanker bin und sehe, dass er direkt auf einen Eisberg zusteuert, fange ich nicht an und lasse die Mannschaft diskutieren, welchen Kurs wir nehmen…“
Der Autor von „Das Prinzip Verantwortung“ sah dies als ein Gleichnis an für den Zustand der Erde, die er mit einem Tanker in höchster Not verglich. Das Bild mag helfen, Dringlichkeit zu verdeutlichen und Entscheidungsklarheit und -notwendigkeit. Und es kommt vermutlich dem tiefen Bedürfnis vieler Menschen nach einem vorausschauenden Kapitän entgegen, der das Schiff sicher durch alle Untiefen steuert. Aber die Erde ist kein Tanker in einem unendlichen Meer voller Gefahren. Sie ist ein lebendes Raumschiff, das unser Sonnensystem durchstreift, ein Lebewesen von außergewöhnlicher Schönheit und Empfindsamkeit. Auf ihm hängt alles, wirklich alles miteinander zusammen, folgt dem kosmischen Gesetz der Resonanz. Dieses Raumschiff hat keinen Kapitän, es hat noch nicht einmal einen Lotsen bzw. Navigator. Es folgt den Gesetzen des Lebens, die allem innewohnen – und es folgt ihnen ohne wenn und aber. Werden diese Gesetze von Bewohnern verletzt, bleibt nichts davon unberührt. Wird ein Gleichgewicht gestört, hat das Auswirkungen auf den Zustand des Ganzen. Die Sehnsucht nach dem Retter, die Sehnsucht nach dem Kapitän ist dann nicht nur eine Illusion, sie ist eine gefährliche Ablenkung und verleitet zur Verdrängung der eigenen Anteile an den Problemen und an der möglichen Bewältigung bzw. Heilung.
Im Hinduismus gibt es die Vorstellung, dass ein jeder Mensch die Verantwortung für das gesamte Universum trägt.
Ja!
Nehmen wir den Gedanken von der universalen Verbundenheit ernst, so geht es nicht kleiner…Und was ist das für ein erhabener Gedanke…
An deinen Gedanken und an deinen Entscheidungen und an deinen Taten hängt das Wohl des Ganzen. So wie jeder andere Mensch bis du damit auf deine Weise der Kapitän auf dem Schiff. Immanuel Kant erwartete von uns, dass alles, was wir tun, so zu gestalten sei, dass es zugleich ein allgemeines Gesetz sein könnte. Hans Jonas entwickelte diesen „Kategorischen Imperativ“ zu einem ökologischen Imperativ weiter. Alles, was wir tun, solle zugleich der Permanenz echten menschlichen Lebens dienen. Und wir sagen heute: Es soll den Gesetzen des Lebens folgen und seiner Ermöglichung. Daran hängt das Wohl dieses Planeten – das Wohl von uns – das Wohl des Lebens an sich, denn wir sind das Leben, wir sind Teil, und wir sind das Ganze. Entsprechend tragen wir die Verantwortung, jeder einzelne von uns – und keiner kann sie uns abnehmen, kein Gesetz, kein Kapitän auf irgendeiner Brücke, kein Staat, kein Parteiprogramm… Wenn du es nicht lebst, wird das, was du vermochtest, kein anderer leben.