Vision trifft Kairos

ClausAllgemein

Vision trifft Kairos

Die Vision richtet, vom Jetzt und seinen immer vorhandenen Möglichkeiten her kommend, die Wahrnehmung auf das, was werden will. Und sie ermutigt, die Chance zur Verwirklichung in genau diesem Moment zu sehen, denn handeln können wir immer nur im Jetzt. Das meint Kairos-Bewusstsein. Der Kairos holt die Chance als verwirklichbar in die Existenz. Er stößt an, zur rechten Zeit zu handeln und ermahnt zur inneren Wachheit und Achtsamkeit. Denn jeder Mensch ist einmalig und versehen mit der Verantwortung, dass das, was er tut und nicht tut, in dieser Weise sonst niemand tut oder nicht tut.

Der Kairos betont das schlechthin Bedeutungsvolle eines jeden Augenblicks. Er weist uns aber auch darauf hin, dass das rechte Handeln zur rechten Zeit aus der Reife geschieht. Wachsend bereitet sich vor, was später seinen momenthaften Durchbruch erzielt. Zur Bedeutung und zum Erkennen der kairoshaltigen Momente gehört somit, die oft kleinen und zahlreichen Schritte wahrzunehmen, die sein Kommen erst ermöglichen. Das vom Kairos-Bewusstsein bestimmte Handeln erfährt Führung aus einer Welt, die kommt. Dies ereignet sich zwar in der Gegenwart, aber es ist nicht bloß für sie bestimmt. Insofern gilt hier beides: dass der Weg das Ziel sei, aber das Ziel eben auch selber!

Vision und Kairos sind zwei Seiten einer Medaille. Visionäre Wandlungskraft setzt kairoshaltige Luft voraus und vor allem deren Wahrnehmung. Fällt beides zusammen und verbindet sich im Sprung in das Ungewisse, mag dieses Geschehen den Übergang in ein neues Erdzeitalter eröffnen. In ihm begreift sich bewusstes Leben als fortwährender Entwicklungs- und Vollendungsversuch – und zwar immer im Rahmen der ihm gegebenen Freiheit und Möglichkeiten. Hier will das noch nie Dagewesene gesehen, und es will gefördert werden! Der Möglichkeitssinn will sich im Nachdenken über das ganz andere schulen.
Es wird keine Alternative dazu geben, radikal über das Bestehende hinaus zu gehen und die alten Dualismen zu überwinden. Das in unserem Verhalten bisher gleichsam als naturhaft und als alternativlos, weil gesellschaftlich bedingt Angesehene will durchbrochen und nicht länger vorsichtig in kleinen Schritten umkreist werden. Das jedoch setzt eine Weltsicht, eine Erkenntnis und eine Vernunft voraus, die weit hinausreichen über jenes sogenannte rationale Bewusstsein, das im Geist des Abendlands noch immer dominiert. Es wird deshalb keinen visionär geleiteten Entwicklungssprung unserer Gattung geben ohne eine dramatische Transformation des Bewusstseins, in dem klarer Geist, die Liebe zum Leben und die Bereitschaft dem Leben zu dienen sich zu einer Haltung vereinigen. Bei aller Wünschbarkeit und aller Notwendigkeit halte ich es für eine völlig offene Frage, ob wir als Menschheitsfamilie auf dem gegenwärtigen evolutionären Niveau dazu in der Lage sind und sein werden.