Lass uns vergeben…

ClausAllgemein

Lass uns vergeben…

„… und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ (Matthäus 6,12)

Was der Mensch aus dem göttlichen Raum auf sich selbst gerichtet erhofft, sollte er gewillt sein, auch allen anderen Lebewesen zu gewähren. Wie in der biblischen Ermahnung „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ beginnt die Vergebung bei mir. Die Nachsicht gegenüber dem eigenen Denken, Empfinden und Handeln reift zur Voraussetzung dafür, einem anderen Menschen aus der Tiefe des Herzens zu vergeben.

Vergebung ist, so betrachtet, wechselseitig. Und dann lehrt sie uns, die Vergebung anderer nicht nur zu akzeptieren, sondern sie in Dankbarkeit als Wachstumshilfe anzunehmen.
Vergebung befreit auch wechselseitig. Wo nicht vergeben wird, herrschen Angst, Unsicherheit und Zweifel. Denn überall lauert scheinbar die Gefahr. Der Blick auf die Welt bleibt von Negativität getrübt. Statt Fehler, die zu korrigieren sind, sieht der zur Vergebung nicht bereite oder unfähige Mensch schwere Sünden, deren Schwere gleichwohl oft nur darin besteht, dass das kleine Ego sich verletzt fühlt. Der Liebe fehlt dann jeglicher Raum zur Entfaltung.

Es wäre allerdings ein Fehlschluss, würde man Vergebung als einen Ausweg aus notwendigen Klärungen ansehen. Von der Verantwortung für Gesagtes und Getanes kann auch Vergebung nicht befreien. Der Diskurs, das Erkennen und das Ansprechen in nichtverletzender Haltung werden nicht überflüssig. Und so folgt die Vergebung im Anschluss an den Dreischritt von Erkennen, Verstehen und zur Sprache bringen. Das führt Vergebung in einen Prozess. Es ist keine einmalige Aktion. Vielmehr ist es eingebunden sowohl in die innere Klärung als auch die zwischenmenschliche Kommunikation. Damit können großartige Lernschritte verbunden sein, in denen wir oft mehr von unseren so genannten Feinden lernen als von vertrauten Menschen, mit denen wir in gleicher Resonanz schwingen.

Vergebung ist ein großer Lehrmeister. Das ist eines der wesentlichen Themen des „Kurs in Wundern.“ Danach lehrt uns die Vergebung, dass Geben und Empfangen eins sind. Indem wir das Verzeihen schenken, empfangen wir die eigene Erlösung – oder etwas schlichter: die eigene Befreiung. Vergebung wandelt das Denken über einen Menschen oder ein Kollektiv, die uns Unrecht oder Leid zugefügt haben. Zugleich vollzieht sich dadurch eine Wandlung im Denken über uns selbst.
Auch läutert Vergebung. Ich stelle mich meinen Feindbildern, meinen Projektionen und Emotionen, beruhige das Aufgewühlte, bis die innere Wahrnehmung wieder klar ist. In der Kraft und Schönheit dieser Erfahrung steigt unweigerlich der Impuls empor, wieder neu auf das Du, von dem die Verletzung trennte und an das die Vergebung neu heranführen will, zuzugehen. Den ersten Schritt zu gehen, sollte nie durch die Frage aufgehalten werden, ob ich mich im Recht oder im Unrecht sehe. Nach Jahrzehnten in Kerker- und Folterhaft des Apartheidregimes schlug Nelson Mandela (1918 – 2013), nun selbst in Südafrika an der Macht, nicht im Geist der Rache und Vergeltung zurück. Er richtete stattdessen mit Bischof Desmond Tutu Versöhnungskommissionen ein und ging damit auf die Peiniger zu, die ihn und sein Volk in Unterdrückung und Verfolgung gehalten hatten. Und Jesus nahm selbst Judas, der ihn verraten wollte, an und teilte mit ihm Brot, Wein und Worte. Demonstrativ wusch er ihm, wie den anderen Jüngern auch, die Füße. (Joh. 13, 1-5) Muslimische Eltern, deren Kind aus religiösem Fanatismus und Hass auf Andersdenkende getötet worden war, baten nach einer Zeit des Umgangs mit dem schlimmsten Schmerz um Vergebung für die Täter. Solche Beispiele demonstrieren neben der außerordentlichen menschlichen Größe damit vor allem, dass wir eins sind, auch mit denen, die sich von uns abgewendet haben…