Böse und Gut

ClausAllgemein

Böse und Gut

Seit die Menschen begonnen haben, in Gut und Böse zu unterscheiden, stellt diese Polarität die Probe auf unsere Freiheit dar. Jeder ist nun potentieller Täter oder potentieller Heiliger. Und das beziehen wir nicht nur auf einzelne Personen, sondern oft ganze Staaten oder Kulturen. Die sogenannte Achse des Bösen ist dafür vielleicht das bekannteste Beispiel. Ist etwas als das Böse identifiziert und markiert, folgen normalerweise die Versuche, es im Namen des sogenannten Guten auszulöschen. Das Rezept lautet: Verbannung aus der Welt durch Vernichtung. Jeder dieser Versuche führte und führt unausweichlich selbst in negatives Handeln.

Wie leicht kann man das oft einfach nur Andere als „das Böse“ behaupten, Demarkationslinien benennen und dann mit Strafaktionen beginnen – vorausgesetzt, man verfügt über die entsprechende Macht. Doch das Böse hat fatalerweise keinen Anfangs- und keinen Endpunkt. Vielmehr durchdringt es als Potentialität ausnahmslos alle Lebensräume. Reduzieren wir die Frage nach Gut und Böse auf ein dualistisches Weltbild, nehmen wir uns die Chance, Welt und Kosmos als Ganzes zu sehen und zu verstehen. Die vollzogene Spaltung und Trennung verstärkt nur unsere Illusionen. Auch nimmt sie uns hinsichtlich der weltumspannenden Macht des Bösen die Gelegenheit, der oft zunächst verborgenen und geheimnisvollen Rolle nachzuspüren, die der dunklen Macht im Erlösungsprozess des Menschen zukommt.

Von der Freiheit her betrachtet, erscheint das Böse als die bewusste Wahl der falschen Lebensorientierung. Wer diese Wahl trifft, richtet sich gegen die Gerechtigkeit, gegen die Liebe, gegen das Gestaltende und somit gegen das Leben. Er wendet sich durch die mit dem Bösen verursachten Folgefolgen, wie Lüge und Rechtfertigung aber auch gegen die Freiheit selbst, der er seine Entscheidung verdankt. Denn Freiheit schwindet zwangsläufig mit dem Anwachsen des Unrechts im Einzelnen, in der Gesellschaft und den Strukturen, die sie hervorbringt.

Gehört die Wahlfreiheit zum Menschen, so setzt Wahl immer Vollkommenes und Unvollkommenes, Gutes und Böses voraus. Freiheit gäbe es nicht ohne Alternativen und ohne die Differenz als Prinzip der Schöpfung. Nehmen wir das als gegeben, macht es keinen Sinn mehr, von einer unvollendeten Schöpfung zu sprechen, nur weil wir an dem leiden, was wir das Böse nennen. Ihre Vollendung liegt gerade in der Dynamik und Dialektik, die Freiheit und Entwicklung ermöglicht!

Gut und Böse können als Zusammenhangsenergien gesehen werden. Darin liegt ihr gemeinsamer Sinn und letztlich ihre Unüberwindbarkeit. Unsere Identität bewegt sich innerhalb des Spannungsfeldes dieser Polarität. Möge doch der Weg zum Guten führen, so die Sehnsucht des Menschen; denn eine Heimat im Dazwischen ist doch irgendwie keine. Die Abwendung vom Bösen führt dann zur Hinwendung zum Guten und einer darauf gegründeten Hoffnung. So erhält in der Abkehr vom Bösen die Liebe mehr Entwicklungsraum. So erwacht der Ruf nach Gnade und stärkt die Verankerung im Glauben. Und so wird schließlich durch den Blick auf das Gute das Böse integriert. Es entsteht eine bewusste Ganzheit, die mit den Gegensätzen als dazugehörig vertraut ist. Das erst vermag dann in eine Orientierung zu führen, die auf Wahl und Entscheidung basiert. Am Ende steht dann zwar keine Vollkommenheit, aber eine verstandene Vollständigkeit.

Verschwände das für den Menschen Dunkle und Schmerzhafte aus dem Universum, verlören wir unsere Welt. Wir lebten gefangen in einem seligen Himmel, in dem alles schon immer da und ungefährdet ist, das, was wir „Gott“ nennen inbegriffen. Paradiesisch entmündigt, nähmen wir kein Entwicklungspotential wahr, das zu füllen wir aufbrächen. Ohne Krankheiten und das Leiden daran gäbe es keine Medizin und keine Heilkunst. Es strahlten nicht vorbildhaft manche ärztlichen Pioniere und Helden und unzählige Pflegekräfte, die sich selbstlos dem Dienst am beschädigten Leben hingeben. Dem Geist und der Seele des Menschen wäre also die Chance genommen, das Feld der karitativen Liebe, der heilenden und tröstenden Zuwendung und des Erbarmens zu entdecken und zu bestellen.

Träumten wir von einer Welt ohne Unrecht, Verfolgung und Unterdrückung, so müssten wir in diesem an sich wunderbaren Traum auch auf die Geschichte von Aufbegehren, Auflehnung und Widerstand verzichten. Es hätte keine Freiheitskämpfer, Märtyrer und Visionäre gegeben, die ohne Rücksicht auf das eigene Leben sich ganz dem Dienst an der Menschlichkeit und an der Freiheit verschrieben haben. In uns lebte keinerlei Erinnerung an die kleinen und großen Siege über das Unrecht und die Tyrannei. Wir könnten von keiner Erfahrung zehren, in der Menschen sich verbündet und gemeinsam erhoben haben, um dem Miteinandersein ein edleres Gesicht zu schenken. Dem Geist und der Seele des Menschen wäre also die Chance genommen, das Feld der Humanität, der Solidarität und der gerechten Weltgestaltung zu entdecken und zu bestellen.

Könnten wir das physische sowie das moralische und das metaphysische Böse verbannen, hätte es wohl nie eine Religion gegeben. „Gott“ als unser alleiniges Gegenüber, ohne Widersacherkräfte, ohne den Stachel der Versuchung und den Zwang zur Entscheidung, wäre ein zu selbstverständliches Gut, als dass wir nach ihm suchen und darum ringen würden. Keine Erlösergestalt hätte sich inkarniert, kein Heiliger den Menschen Orientierung gegeben. Und der Kulturraum der Menschen verbliebe öde ohne die verzaubernden Werke der Musik, der Literatur, der darstellenden und bildenden Kunst und der Architektur. Dem Wahren, Guten und Schönen dienend, schmücken sie das Feld des Absoluten bereits inmitten des Irdischen.
Es ist das Ringen und sich Entscheiden und das sich Positionieren, das die Spirale der kulturellen Evolution nach oben bewegt….

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