Es war einmal…

ClausAllgemein

Die Welt der Vergangenheit ist eine besondere Welt. Und sie lebt in jedem von uns als jeweils etwas ganz Eigenes.
Mit der Vergangenheit schauen wir auf einen an sich geschützten Raum. Er hat seine eigene Identität und eine eigene Würde. Er entzieht sich unserer intervenierenden Verfügbarkeit. Der Vergangenheit können wir aus dem Blick der Gegenwart heraus zudem niemals ganz gerecht werden. So viele Zeugnisse und Artefakte kann es nicht geben, um dies zu leisten. Und so sollten wir sie, im strengen Sinne, eigentlich auch immer nur mit viel einfühlendem Bemühen aus sich heraus zu verstehen suchen. Oft aber denken und deuten wir sie als eine lediglich noch nicht entwickelte, nicht ausgereifte Gegenwart bzw. wir passen sie in unser Selbst- und Weltbild mehr oder weniger beliebig ein und machen sie uns zu Diensten.
Sicher, wir benötigen die Annäherung an das Gewesene – auch um uns selbst in unserer Gewordenheit besser zu verstehen. Geschichtskunde leistet diese Arbeit, zumeist mit größter Sorgfalt. Doch auch dort ist es wichtig, das Verstehen von innen her zu versuchen und nicht der Versuchung zu erliegen, aus dem Blickwinkel und dem Empfinden der Gegenwart heraus zu analysieren. Verstehen, wirklich Verstehen, kommt vor Deuten und Erklären. So ließe sich das Motto formulieren: Empathie, statt Blicke mit Maßstäben, Schablonen und Rastern.

„Das dunkle Mittelalter“, „das Chaos der Völkerwanderung“, „der Glanz des Barock“ „die wilden Zwanziger“ sind solche Schablonen-Blickweisen. Sie nehmen als Maßstab wenige Charakteristika, die „Experten“ mit Deutungshohheit als hervorhebenswert erachten und damit ganze Epochenbilder festschreiben.

Da im Blick zurück nie allem gerecht zu werden ist, mag es deshalb eine Weise des Umgangs mit Geschichte sein, sie immer wieder auch zu lassen – sein zu lassen, ruhen zu lassen oder besser: gewesen sein zu lassen. Vielleicht mit einem sanften Blick aus einer Metaperspektive darüber streichen, ohne dem Raum dessen, was einmal war, sein Eigenes und sein Besonderes zu zerstören  – gleich auch, was geschehen sein mag.
Es steht uns nicht zu, jeden Raum zu betreten und alles nach unserem Gusto und unserem Verständnis und von unseren Gefühlen her kommend, zu bewerten.
Das gilt nicht nur für den Umgang mit Geschichte im üblichen Sinne. Es gilt auch für den Umgang mit der eigenen Vergangenheit bzw. der Vergangenheit anderer Menschen. Gewiss, wir müssen lernen aus dem, was war. Aber oft verstellt der Blick zurück und das damit verbundene Urteil über die Gegenwart das, was im Moment neu aufbrechen und ins Leben treten will. Die im Gewesenen verfangene Energie blockiert dann den KAIROS. Deshalb wohl auch sagt Jesus in der ihm eigenen Klarheit: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ (Lukas, 9,62)
Sich in der Gegenwart wahrhaft aufzurichten und auszurichten, zum Kommenden hin: Das fordert unser gesammeltes Wollen, unsere innere Orientierung und unsere gesamte Energie.
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(Den Zeitschriften-Titel vom 1.November 1948 habe ich im Haus der Geschichte in Bonn fotografiert)

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