Menetekel

ClausAllgemein

Tiefgreifende Krisen verbinden sich zumeist mit einer ganz eigenen Erzählweise. Deren Dramatik steigt mit der Dringlichkeit der Fragen, um die es geht. Neben dem Hoffnungsstrahl, der beschworen wird, damit alles doch noch gut gehen möge, besteht seit Menschengedenken der Drang, ein Menetekel (Daniel 5,25), also eine unheilverkündende Warnung gleichsam an die Wand zu malen. Das Narrativ des biblischen Menetekels will aufrütteln, ermahnen. Es will anstoßen, zu erkennen, das denkbar Schlimmste immer mit im Spiel zu halten und nicht der Versuchung zu erliegen, es solange zu übersehen und zu verharmlosen, bis es begonnen hat, Wirklichkeit zu werden. Der Geist des Menetekels ist prophetisch, und er liegt nahe an dem, was wir apokalyptisch nennen.
Alltagssprachlich wird damit zumeist das größte anzunehmende Unheil verbunden. Apokalypse, das meint dann Weltuntergang, zumindest aber eine Zukunft voller Düsternis und in ultimativer Bedrohlichkeit. Diese Zuschreibung verwundert nicht. Sie ist die Folge des letzten Buches im Neuen Testament, der Offenbarung des Johannes, auch einfach nur Apokalypse genannt. Zwar kann es als das Trostbuch des Christentums gesehen werden, endet danach doch die Geschichte der Welt in der Herrlichkeit des Neuen Jerusalem; doch zuvor müssen die mit dem Untergang der alten Welt verbundenen Schrecken durchlebt werden.
Die aus dieser Erzählung hervorgehenden Bilder haben sich tief in das kulturelle Gedächtnis der abendländischen Welt eingebrannt. Und so wird Apokalypse schnell in Anspruch genommen, wenn es um das Ausmalen von Unheilserwartungen jeglicher Art geht. Dabei meint der griechische Ursprungsbegriff apokalypsis gar nicht unbedingt Endzeit, sondern „Enthüllung“ oder „Offenbarung“. Das wie in einem verschlossenen Buch vor uns liegende Zukünftige wird aufgezeigt, in eine Erzählform gebracht, die den Menschen zugänglich und verständlich ist.
 
Die Apokalypse thematisiert die größten der denkbaren Zusammenhänge. Sie wendet sich nicht den kleinen Ereignissen und auch Katastrophen im Leben des Menschen und der Menschheit zu. Es gebietet sich also Vorsicht in der Verwendung des Begriffs, um dem inflationären Sprachgebrauch in der Gegenwart vorzubeugen.

Die Enthüllungen, mit denen wir in der momentanen Weltsituation täglich konfrontiert werden, was die Zukunft von Mensch und Erde im Angesicht von Klimawandel und Überbevölkerung betrifft, rücken den Begriff allerdings in eine neue Bedeutung bzw. Aktualität. Sie führt einerseits fort von der biblischen religiösen Prophezeiung der Plagen, des Untergangs, der Nacht ohne Morgen und der Neuerstehung. Gleichwohl weist sie uns auf das Grundsätzliche, alles Umfassende und in den Folgen auch alles Betreffende des Menschheitsdesasters hin. In radikaler Klarheit. Es bedarf keines weiteren Menetekels mehr, um die entsprechenden Zeichen zu verstehen, die am „Himmel“ stehen bzw. die der Planet uns sendet. Die apokalyptischen Reiter, die vom Kampf gegen das Unrecht, von Krieg, Elend und Tod nicht nur künden, sondern diese bringen, sind bereits unterwegs – um doch noch einmal das biblische Motiv aus der Offenbarung des Johannes zu verwenden (Offb. 6,1-8). Nur die gelebte Ehrfurcht vor dem Leben, in ihrer tiefsten Bedeutung und Wahrnehmung, hätte sie im Zaume halten können. Und nur diese Haltung ist es, aus der eines Tages auf den Trümmern des Gegenwärtigen eine neue und lebensdienliche Weltordnung entstehen kann.

Wenn Sie meinen Blog abonnieren möchten, klicken Sie bitte hier.