Der andere Blick

ClausAllgemein

Manchmal frage ich mich, was Augen sähen, die aus einer anderen Dimension auf das Erdgeschehen und unser alltägliches Tun blickten. Einzelne Menschen, Länder, ja die Menschheit an sich würden sich als etwas zeigen, das nahezu vollständig in sich selbst verfangen ist und sich darin verliert. Von Nachrichten gelähmt, die Sinne in das Geschehen der äußeren Welt hineingesaugt, im Kontrollgriff selbstbezogener Bedürfnisse und Erwartungen, präsentierte sich der Mensch als Spielball einer großen Illusion. Während die Erde in stetem Rhythmus ihre Kreise durch das Sonnensystem zieht, „Dinge“, Lebensformen, Zeitalter hervorbringt und wieder überwindet, sieht er sich selbstverliebt im Zentrum des Geschehens und als etwas, das nicht in Frage zu stellen ist.

In diesen Tagen fokussiert sich der Blick auf Corona und das Versagen der Menschlichkeit, das sich an den Rändern der Wohlstandsoase Europa, an den staatlichen Grenzen zur leiblichen Sicherheit abspielt. Und das stille, innere Wünschen angesichts der Bilder von Isolierstationen und brutal zurückgestoßenen Hilfesuchenden, wird sich überwiegend so zusammenfassen lassen: Möge beides von mir fern bleiben… (Leserinnen und Leser dieses Beitrags selbstredend ausgenommen.)

Geballte, und sich in höchster Frequenz wiederholende Botschaften und Bilder von Unheil und Bedrohung, wecken in vielen von uns die Sehnsucht nach noch mehr Bezug und Rückzug auf uns selbst und eine Geborgenheit eben dort. Abgrenzungen, ja oft schroffe Ablehnung nach Außen, sind eine damit zusammenhängende Folge. Vorratskäufe für mich und die Meinen, Flüchtlinge bitte nicht in meine Nähe. So verlieren wir jegliche Weite, seelisch, geistig, epochal und vor allem überzeitlich. Wir kerkern uns in ein Jetzt ein, das die Flut der gegenwärtigen Wandlungsprozesse in kürzester Zeit wegschwemmen wird. Dann aber werden die notwendigen Antworten fehlen, die nur aus einer analytischen und zugleich empathischen Tiefenschärfe zu gewinnen sind.

Es ist Fastenzeit.

Der Sinn des Fastens ruht in Loslassen und Durchbrechung von Routinen – körperlichen, geistigen, seelischen. Entschlacke, schaffe inneren Raum für die Ausrichtung auf das Wesentliche. Befreie die Perlen des Geistes und des Herzens von dem Schrott, der sie umgibt.
Natürlich hat Fasten mit einem Schuss Askese zu tun. Ich versage mir etwas, vielleicht aber eben auch nur, um es neu zu entdecken und schätzen zu lernen. Gleichwohl ist der sogenannte Verzicht wahrhaft nicht das Wesentliche. Der Gewinn macht den Segen aus. Der Gewinn an Weite, die Berührung mit dem Überzeitlichen und all dem, was uns durch die Neu-Gier-Sinne so leicht entgleitet. Der Fastende löst sich von der Haltung des Kaninchens, das hypnotisiert, und durch Angst seiner Vernunft beraubt, auf die Schlange starrt. Er geht zu sich selbst in eine übergeordnete Perspektive. Er wird zum Menschen, dessen Geist nun wieder Flügel wachsen. Er lernt von den Vögeln, deren Blick nicht nur zum Horizont geht, sondern darüberhinaus.

Das Fasten all dessen, was uns kolonisiert, und dazu gehören auch manipulative Bilder und Informationen, die uns innerlich besetzen, schenkt die Gelassenheit einer Metaperspektive, die zweierlei lehrt: rechtes Tun und rechtes Lassen; im Geist, in der Vorstellung und im Handeln. Alles Notwendige, das wir zu jeglicher angemessenen Einschätzung brauchen, ist bereits da. Es ruht in uns.
Stille, tiefe Stille wird dann zum Pfad, der die ausgetretenen Wege kreuzt. Rasten, Innehalten, sich Versenken, Reflektieren; für wiederkehrende Momente dem hysterischen Getriebe einer Welt entsagen, die droht, tödlich an sich selbst zu erkranken.

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