Jenseits, Leere und Bewusstsein

ClausAllgemein

Natürlich gibt es eine jenseitige Welt.
Die Frage ist nur: wie weit ist sie von der Innenstadt entfernt,
und wie lange hat sie offen.


In der für ihn nicht untypischen Weise zwischen Ironie und Zynismus fertigt Woody Allen eine Frage ab, die uns Menschen seit Urzeiten beschäftigt.

Das sogenannte „Jenseits“ liegt im Herzbereich der großen religiösen Traditionen. Manche sagen, es schreibe den Dualismus in der Weltsicht fest und entstamme einem antiquierten Denken, welches in das Irdische und Niedere sowie das Himmlische und Höhere unterteile.
In den mystischen Traditionen der spirituellen Wege wird diese Frage in den Innenraum des menschlichen Bewusstseins verlegt. Es sind dann die Innenwege, es ist die innere Erfahrung, die Schau des Urgrunds, auf denen du nicht in ein Jenseits, aber zu den Quellen, dem Ursprung und einer darauf bezogenen Berührung gelangst. Auf diesen Seelenpfaden lösen Trennungen sich auf; die Welle spürt sich als Teil des unendlichen Ozeans; das Bewusstsein verschmilzt mit dem Sein; der Himmel breitet sich aus in dir…
Eigentlich gäbe es wenig mehr an Wesentlichem zu sagen.

Zu der Jenseits-Frage gehört als eine Antwort jedoch auch, dass da nichts sei, nichts als Leere – kein Gegenüber, kein göttliches DU, keine Anderswelt, kein Schöpfungsquell, kein tragender Urgrund. Leere kennzeichnet danach das Wesen von Allem bzw. die Nicht-Existenz des Seienden, wie wir es uns vorstellen und wahrzunehmen glauben. Leere repräsentiere das nackte Sein, bevor es mit Deutungen und persönlichen Konstruktionen in Bilder und Ideen gepresst wird, die lediglich Kopfgeburten sind. Auch dass diese Konstruktionen ja Folgen haben, zu einer Wirklichkeit werden, die unter anderem in unseren Gefühlen der Welt gegenüber einen Ausdruck findet und diese Welt maßgeblich beeinflusst und verändert, erscheint dann selber wiederum nur als Schein. Gleichwohl suchen Menschen in allen Traditionen doch einen zumindest letzten inneren Halt. Und so wird die Leere zur unermesslichen Fülle erhoben, die alles in sich trägt.
Dass wir in der Fülle ruhen, wenn wir das Äußere loslassen, wer könnte dem nicht zustimmen. Allerdings sollte man dann nicht mehr mit dem Begriff der „Leere“ arbeiten, und schon gar nicht mit dem des „Nichts“; denn immer ist etwas, und Fülle als innere Empfindung kann nicht leer sein.

Letzte Fragen, die das personale Bewusstsein übersteigen, entziehen sich der Beantwortbarkeit. Und so macht es wenig Sinn, der Gewissheit von der Leere andere Gewissheiten konkurrierend gegenüberzustellen. Doch ich möchte die Perspektive verändern und daran erinnern, dass alle menschliche Wahrnehmung dem kosmischen Grundgesetz der Resonanz folgt. Und das heißt unter anderem, dass wir normalerweise nur das wahrzunehmen vermögen, woraufhin wir geistig, seelisch und sinnlich gestimmt sind.

Wer die Leere sucht und sich entsprechend ausrichtet oder ausgerichtet wird, wird Leere finden und darin enden.
Wer die allumfassende Liebe sucht, die ins Werden führt, wird sie erspüren.
Wer den Christusimpuls ernst nimmt und das Reich Gottes inwendig in sich sucht (Lukas 17,21), wird entsprechende Spuren ertasten.

Trotzdem bleibt immer ein Geheimnisraum, bleibt jene Wolke des Nichtwissens, der wir nur mit Ehrfurcht und auch Demut begegnen können. Denn das Bedingte und Relative des Menschen kann nie hinreichend das Absolute umfassen, auch wenn es Teil von diesem ist.

Schließlich wartet noch jenseits aller Jenseitsvorstellungen und religiösen Gewissheiten jener Auftrag, der für mich den tieferen Sinn des Menschseins überhaupt ausmacht:
Entfaltung, Gestaltung, Verfeinerung, Veredlung.

Dazu ein bloßes Gedankenspiel: Nehmen wir einmal an, wir wären in der Stunde Null, und da wäre wirklich nichts an Geheimnisraum, an numinoser Welt, an göttlichem Atem inmitten der so gegebenen Wirklichkeit spürbar. Selbst dann könnte der sich auf sich selbst gestellt sehende menschliche Geist Grundlegendes schaffen, das weit über die Personalität hinausgreift. Er vermag an einem mentalen Feld, einem transpersonalen Bewusstseinsfeld zu weben, das reine, ausgerichtete Energie ist; spürbare Energie, die trägt. Sie füllt das, was als Leere empfunden wird. Nun mag der Zyniker sagen: Das sind doch wieder alles bloß Illusionen…
Vielleicht. Doch hätten etwa alle Menschen die Illusion von einem sie tragenden geistigen Universum der Liebe, wäre die Menschheit eine andere, und diese sogenannte Illusion wäre auf Mutter Erde als Liebe zur Wirklichkeit geworden. Und das ganz ohne Gottesbeweis und Theologie und irgendwelche Rechthabereien. Darin liegt die unermessliche gestalterische und heilende Kraft des Bewusstseins und der aus ihm erwachsenden Ideen. Sie vermag Welten zu schaffen!

Und so scheint es wahrlich nicht übertrieben, vom Bewusstsein als einem Kernelement zu sprechen, das Raum, Zeit, Materie und Energie nicht nachsteht.

Erbarme dich meiner Leere
Schenk mir das Wort
Das eine Welt erschafft
(Rose Ausländer)

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