Fünf: Tapferkeit

ClausAllgemein

In den antiken, aristotelischen Tugenden und ihrer Wiederbelebung in der Tugendlehre des Thomas von Aquin (1225-1274), spielt die Tapferkeit eine ganz wesentliche Rolle. Zwischen blinder Tollkühnheit und Feigheit liegend, gibt sie dem Leben Ernsthaftigkeit, Konsequenz und Verlässlichkeit. In ihr werde ich meiner Menschenwürde gerecht.

Tapferkeit kann als die Bereitschaft verstanden werden, im Ringen um die Verwirklichung des Guten auch Verletzungen, im Zweifelsfalle bis zum Tode, hinzunehmen, wie Josef Pieper dies in seiner Abhandlung „Vom Sinn der Tapferkeit“ (1934) in Bezug auf Thomas konstatierte. Die Bereitschaft zur Verwundbarkeit entsteht um den Erhalt bzw. das Erlangen einer tieferen Unversehrtheit willen. Was die erste der vier Kardinaltugenden, die Klugheit, als gut erkannt und was in der zweiten, der Gerechtigkeit seine lebensorientierte Gestalt findet, wird erst durch die dritte Tugend, die Tapferkeit, gegen Widerstände und Hemmnisse ermöglicht. Das heißt aber auch, dass Klugheit und Gerechtigkeit der Tapferkeit vorausgehen bzw. sie als Notwendigkeit begründen. Das angemessene Maß gibt dann als vierte Tugend dem Handeln seinen Rahmen.
Formulieren wir das in einer zeitgemäßeren Sprache, ließe sich sagen: Die Tapferkeit ist entscheidend für die Verwirklichung des Guten, und gut ist, was dem Leben dient, es schützt, bewahrt, ermöglicht. Offensichtliche Ungerechtigkeiten nimmt sie deshalb nicht widerspruchslos hin. Sie gibt sich zu erkennen als Authentizität, Wahrhaftigkeit, Selbstachtung und eine Entscheidungsklarheit, die aus der Vernunft und aus dem Herzen kommt. Vor persönlichen Folgen schreckt sie nicht zurück, hält die gerade in der Gegenwart verbreitete Unsicherheit aus.
Tapferkeit sollte nicht als Freiheit vonAngst missverstanden werden. Allerdings lässt sie sich von ihr nicht beherrschen. Sie respektiert sie, auch als Ratgeberin inmitten der Bedrohung, hält sie aber in Grenzen. Der Angst ins Gesicht zu schauen, geht der Notwendigkeit voraus, ihre Ursache wirklich zu verstehen. Vorsicht, Behutsamkeit, Wachsamkeit, Sorgfalt und Geduld sind deshalb nicht der Widerpart, sondern die Begleiterinnen der Tapferkeit

In der Tapferkeit nehme ich meinen Lebensauftrag, meine Berufung als Mensch an. Ich entziehe mich nicht dem Ringen, das mit jedem Werden verbunden ist. Denn täte ich das, raubte ich mir sowohl die Gegenwart wie auch die Zukunft.
Der bewusst gestaltete Prozess des Werdens zeigt sich darin, nicht nur Mensch zu bleiben im Angesicht der Entzweiung des Lebens. Über die Einsicht in die eigenen Schwächen sowie die eigenen inneren Widersprüche und Gegensätze hinaus gilt es vielmehr fortwährend neu Mensch zu werden. Die persönliche Existenz wird dadurch zu einem schöpferischen Akt, zu einer dynamischen Skulptur, deren äußere Erscheinung sich wandelt, während das Innere und Seelische sich reinigt und klärt. Ohne Preisgabe von so manchem Gewohnten und Bindenden und ohne das Zurücklassen von Dingen und Verdinglichungen, ist dieser Prozess auf Dauer nicht zu bestehen. Hier vereinigen sich Einfachheit und Tapferkeit.

Die vom einzelnen Menschen gesuchte Tiefe der Existenz fordert Mut. Das zeigt sich vor allem daran, dass im Durchschreiten des Werdeprozesses das gefestigt scheinende Identitätsgefühl zerbricht. Es beginnt sich zu weiten, wenn auch zunächst ohne klare Perspektive und in einen unvertrauten Raum hinein. Dieser Gang durch das, was Mystiker als die dunkle Nacht der Sinne und des Geistes bezeugen, ist, auch wenn jeder Mensch ihn anders erlebt, unausweichlich. Er will durchlebt sein, so wie die Freude, die wartet, und wie die Rückschläge, die auch dem Erwachen wiederum folgen. Denn die Differenz zwischen der inneren geistigen Erfahrung und dem Herzgefühl auf der einen Seite sowie der nachhinkenden Verwirklichung in Haltung, Verhalten und Tun auf der anderen Seite, löst sich nie vollständig auf. In unserer irdischen Endlichkeit bleiben wir unvollendbar. Fehler und Irrtümer können als die natürliche Kehrseite des Vollkommenheitsbildes, das wir in uns tragen, gesehen werden. Zugleich sind sie Zeichen für notwendige Korrekturen im Sinne der visionären Orientierung, der Antwort auf die Frage also, wohin wir wirklich wollen.


„Die Tugend der Tapferkeit bewahrt den Menschen davor,
sein Leben auf solche Weise zu lieben, daß er es verliert.“
(Josef Pieper)


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