Mindestens die Hälfte!

ClausAllgemein

Als die Wasser der Sintflut sich am 17. Tage des siebten Monats begannen zurückzuziehen, strandete die Arche im Gebirge Ararat (heutiges Ostanatolien), wie die Bibel berichtet (Genesis 8,4). Es dauerte noch, bis wirklich Land in Sicht war und man das Schiff, das wohl eher ein gewaltiger Holzkasten war, verlassen konnte. Während Noah, seine Frau, die drei Söhne und deren Ehefrauen begannen, die Arche zu reinigen und als vorübergehende Wohnstatt herzurichten, versammelten sich die Tiere in der Nähe. „Die Menschen haben uns das Leben gerettet“, sprach der Elefant. Alle nickten. „Ja, bemerkte der Löwe. Das ist so. Aber sie können auch unbarmherzig sein, denkt an die Zeit vor der großen Flut. Sie werden sich ausbreiten und uns töten. Lasst uns deshalb beschließen, dass in Zukunft mindestens die Hälfte des Landes uns Tieren und unseren Geschwistern, den Pflanzen, gehören soll.“ Stumm nickten wieder alle Tiere.
Es sollte anders kommen…

Laut der weltweit operierenden Naturschutzorganisation Resolve, einem Netzwerk aus Wissenschaftlern, Forschungsorganisationen und Naturschützern, stehen heute gerade einmal 15 Prozent der Landmasse unseres Planeten unter Schutz. Mindestens 35 weitere Prozent wären jedoch nötig, um die am stärksten bedrohten Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren und der Natur eine Chance zur Regeneration zu geben. Dies diene nicht zuletzt auch dem Schutz des Menschen selbst, u.a. vor Pandemien wie Covid 19.

Wir sprechen so viel darüber, wie bedroht die Vielfalt des Lebens auf der Erde ist. Wir zitieren so gerne geniale lebensethische Gedanken wie den von Albert Schweitzer: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“. Doch auch nichtmenschliches Leben braucht vor allem Raum, um sich zu bewegen und zu entfalten. Es braucht Schutzraum vor dem vernichtenden Zugriff des Menschen. Deshalb ist die Forderung, mindestens fünfzig Prozent der Landmasse unter Natur- und Artenschutz zu stellen so bedeutsam. So konkretisiert sich die Lebensethik im umfassenden und globalen Sinne. So klingt in Praxis transformierte Liebe zum Leben.

Fünfzig Prozent – das hieße natürlich nicht, dass links die Natur und rechts der Mensch ist. Vielmehr wäre dies als Auftrag durchzudeklinieren bis in jedes Land auf dieser Erde, jede Stadt und womöglich jedes Grundstück. Ein Großteil der Menschen könnte einen direkten Beitrag leisten. Gemeinden etwa wären angehalten, keine Böden mehr neu zu versiegeln, wenn nicht vorher angemessene renaturierte Ausgleichsflächen geschaffen worden sind. Jede Region müsste entsprechende Flächen ausweisen, weitere Besiedlung stoppen, bei der heute doch nur der Leerraum von morgen produziert wird. Die Situation etwa in der Wohnungs- und Siedlungspolitik Deutschlands trägt teilweise ja groteske Züge. Während die Bevölkerungszahl seit den fünfziger Jahren stagniert bzw. leicht rückläufig ist, ertönt der permanente Schrei nach mehr Wohnraum. Allein lebende alte Menschen wohnen bis zu ihrem Tod zuhauf in Häusern, die sie einst für eine Familie geplant und gebaut hatten; mal zieht es die Menschen in Städte, und es wird bis zum Anschlag neu gebaut; dann möchte man doch lieber auf dem Lande im idyllischen Eigenheim leben, und es werden noch mehr Flächen für Neubaugebiete versiegelt. Sinn und Verstand ist unter Gesichtspunkten von Nachhaltigkeit hier schwer zu entdecken.

Sicher, fünfzig Prozent, das ist eine gewaltige Utopie. Doch wir benötigen solch große, für die gesamte Welt geltenden Ideale, die zugleich bis in den kleinsten Lebensraum herunterzubrechen sind und die potentiell jeden Menschen mitnehmen können. Deutlich mehr Nationalparks und möglichst weiträumig und grenzüberschreitend miteinander verbundene Naturschutzflächen könnten es ermöglichen, dass Herden wieder über die Erde ziehen und die Natur beginnt, sich zu erholen. Auf diesen Flächen würde es keine industrielle Landwirtschaft mehr geben, keine Neubesiedlungen und allenfalls einen sanften Tourismus in ausgewiesenen Gebieten. Eingriffe des Menschen wären nichtinvasiv, d.h. lediglich, um Gleichgewichte in Tier- und Pflanzenwelt sicherzustellen.
Wir werden in Zukunft neue und kreative Formen des Generationen übergreifenden Zusammenlebens brauchen, die zugleich dem Bedürfnis nach Individualität und Rückzug gerecht werden.
Vergessen wir auch nicht den indirekten Beitrag, den jeder Mensch dadurch leisten kann, dass er einen Konsum pflegt, der Landverbrauch und Landmissbrauch nicht noch weiter anheizt. Eine fleischfreie Ernährung wäre hier wohl als erstes zu nennen.

Jede Frau, jeder Mann, jedes Kind, jedes Land und jede Organisation haben die Berufung, die Möglichkeit und den Auftrag, zu jeder Zeit einen entsprechenden Aufruf für das Leben zu tätigen…so lange, bis es im öffentlichen Bewusstsein tief verankert und unumkehrbar ist.
Vielleicht nicht unbedingt von der Sache, doch von der Wirkmächtigkeit her, mag hier ein Beispiel aus der Geschichte dienen.
Cato, der Ältere, ein römischer Staatsmann (234-149 v.Chr.), sah die Hauptgefahr für das imperium romanum in der militärischen Bedrohung durch das nordafrikanische Karthago. Er beendete jede seiner Reden mit dem Satz: „cetero censeo, carthaginem esse delendam.“ (Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.) Das brannte sich so in das Bewusstsein der Senatoren ein, dass es irgendwann common sense war. 146 v.Chr. fiel Karthago im dritten punischen Krieg.
Warum sollte solches nicht gerade auch wirksam sein, wenn es um Heilung und Dienst am Leben geht.

„Im Übrigen fordern wir im Sinne der Lebensethik, dass mindestens fünfzig Prozent des Landes auf dieser Erde unter Naturschutz gestellt werden. Und wir können hier, an diesem Ort, damit beginnen…“

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An dieser Stelle möchte ich auf den Blog-Beitrag eines Schweizer Freundes verweisen.
https://wernerbinder.ch/2021/03/06/destabilisierung-und-disziplinierung/