Der Marsch durch den Zyklon

ClausAllgemein

Trotz aller zivilisatorischen Selbstverständnisse, in denen wir uns noch behaglich bewegen und trotz aller gemäßigten klimatischen Bedingungen, die uns hier noch umgeben – der terrane Transformationsprozess hat begonnen. Das Wüten der Menschheit gegen das Netzwerk des Lebens mündet in dieser Erdzeitstunde in seine Antithese.
Hitzewellen verbrennen große Teile der Erde und trocknen sie aus. Wassermassen ertränken Land in einem Ausmaß, dass man in frühen Menschheitsepochen von einer Sünd-Flut (Sintflut) gesprochen hätte. Pandemien beginnen ihren „nachhaltigen“ Siegeszug. Rohstoffe verknappen. Geld, an dem so lange alles hing und dem als Götze kapitalistischer Erdpolitik nahezu alles untergeordnet wurde, erweist sich täglich deutlicher als gigantische, sinnentleerte Sehnsuchtsblase.

Selbst Spitzenvertreter der Industrie lassen verlauten, dass nahezu alles, was uns in den letzten 150 Jahren ein bequemes Leben ermöglichte, nun in Frage steht und neu gedacht werden sollte: Es gilt das Wirtschaften neu zu erfinden; wir benötigen  andere Industrien und Produktionsweisen; der Energieverbrauch muss sich von fossilen und auch allen begrenzten Rohstoffen wie Lithium und Nickel für den Bau von Autobatterien lösen; Mobilität ist deshalb grundsätzlich neu zu denken. Das gedankenlose und grenzenlose Reisen etwa, das so außerordentlich viele sich noch immer meinen leisten zu dürfen, wird uns in wenigen Jahren wie ein grotesker, verantwortungsloser Anachronismus in missverstandener Freiheit vorkommen.
Gleichzeitig aber scheinen die Grundbotschaften endlich anzukommen, selbst bei einigen Verursachern. Es ist wie eigentlich immer: erst wenn kleine und große Katastrophen zur Normalität werden, nicht mehr wegignoriert werden können, das eigene Geschäftsprinzip bedrohen und herrschende Politik vor ihrem Offenbarungseid steht, beginnt das ernsthafte Umsteuern. Das ist die gute Nachricht, auch wenn dadurch die desaströsen Kettenreaktionen, die durch das, was Klimawandel und Artensterben genannt wird, nicht mehr aufgehalten und schon gar nicht gestoppt werden können.
 
Die Menschheit hat gezwungenermaßen das große Hindurch begonnen, den Marsch durch den Zyklon. Wie dieses gewaltige Abenteuer ausgehen wird, vermag niemand zu prognostizieren. Dass er die allermeisten Selbstverständnisse unserer Lebensweise auflösen wird, scheint allerdings sicher. Selten in der Geschichte unserer Gattung ist die dem Sein grundsätzlich beigegebene Zerbrechlichkeit so deutlich geworden, wie sich das in dieser Zeit abzuzeichnen beginnt. Um so bedeutender ist in diesem anthropologischen Schicksalsprozess, in welcher Haltung wir uns ihm stellen, ihn gestalten und aufrecht durchwandern.

Im großen Spiel der Unabänderlichkeit muss Vieles zwar einfach ausgehalten werden, weil keine Möglichkeiten mehr existieren, zu intervenieren oder gar zu steuern. Steigende Meeresspiegel, wegschmelzende Gletscher, Dürrephasen, Wald- und Landschaftsbrände, Starkregenereignisse gehören dazu. Doch auch im Aushalten ist die innere Haltung entscheidend.
Prozesse der Destruktion vermögen Menschen aufzusaugen, ihre gesamte Wahrnehmung zu zentrieren, die Psyche zu destabilisieren und in Verzweiflung, dem wohl schlimmsten Seinszustand münden. Wir können uns ihnen aber auch aus unserer Mitte heraus zuwenden. Bedrohung und existentielles Gefordertsein schließen innere Ruhe ja nicht aus. Und letztlich ist vieles eine Frage der Blickweise – wie ich auf ein Ereignis schaue und dann im vordergründig Desaströsen sogar den Beginn einer heilsamen Dynamik erkennen kann, die unverzichtbar für das Weitergehen von uns als Menschheit ist – wenn auch nicht mehr auf den bekannten und vertrauten Wegen.

In der Sorge um mittelfristig schmerzhafte Einbußen bei dem, was den sonderbaren Namen Wohlstand trägt, scheint in der Folge die Frage wichtiger zu werden, was wir wirklich verlieren können. Was braucht ein Leben in Würde und in einem dem anderen Leben zugewandten Sein? Wollen wir Wohlstand weiterhin nur materiell verstanden wissen, oder zukünftig als Frieden? Frieden mit der Erde, Frieden mit dem Leben, Frieden untereinander, Frieden mit uns selbst…

Eine Antwort liegt in dem, was wir Einfachheit nennen, das sich Bescheiden mit dem, was dem Leben dient und die Zuwendung zum Lebensdienlichen nicht verdeckt oder blockiert. Da gilt es so manches zeitig freizugeben, sich auch in eine Spiritualität des Lassens einzuleben, bevor das Loslassen ein von außen diktierter Zwang wird, der dann schnell in einer subjektiven Überforderung münden kann.

Der Gang durch den Sturm der Wandlung steht uns allen bevor, wenn auch sicherlich in unterschiedlicher Weise der persönlichen Herausforderung. Sich in dieser Zeit mit anderen Menschen in eine Unterwegs-Gemeinschaft zu begeben, sich als Werte- und Handlungsgemeinschaft zu verbünden und in diesem Bewusstsein fortan zu leben, kann die Kraft und auch die Perspektiven schenken, die alleine schwer zu erringen sind. Je mehr das Äußere erodiert, werden dabei Verbindlichkeit und Treue hinsichtlich der Werte und des gemeinschaftlichen Weges zu unverzichtbaren Begleitern.
Der Staat kann und muss auf seinen unterschiedlichen Ebenen regeln; er muss Rahmenbedingungen schaffen und Möglichkeitsräume eröffnen. Uns finden, zusammenschließen und das Notwendige ins Leben bringen, müssen und dürfen wir selber. Es braucht dazu keinerlei Organisationsstruktur, sondern nur lebensdienliche Prinzipien und Willen. Es ist Zeit!

Was sich aktuell in den deutschen Überflutungsgebieten ereignet hat, kann in dieser Hinsicht Mut machen. Die direkte nachbarschaftliche, zwischenmenschliche, pragmatische Solidarität in einer für dieses Land bislang nahezu undenkbaren Situation ist drastisch schön. Hier zeigt sich, dass wenn so vieles an Materiellem und ja auch damit zusammenhängenden Träumen verloren ist, durch die abblätternden Masken der Verdinglichungen die Menschlichkeit ans Licht kommen kann und eine Energie frei setzt, um die zu wissen, alleine schon kostbar ist. Denn wir sprechen hier von jener ehrlichen und nicht berechnenden Energie, die, wenn wir sie kollektiv befreien, uns wohl alleine noch retten kann.

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