Der verlorene Sohn

ClausAllgemein

Gleichnisse begegnen uns als eine Erzählweise, die weit über die geschilderte Geschichte selbst hinausweisen möchte. Das Gleichnis versinnbildlicht ein reales Geschehen, eine konkrete Situation. Und es lädt dazu ein, dieses Geschehen, jenseits intellektueller Spitzfindigkeiten, auf anderes zu übertragen.
Jesus sprach in Gleichnissen, da er bei seiner Zuhörerschaft nach eigener Aussage davon ausging, dass sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören und somit nichts wirklich verstehen. Das vielleicht am Häufigsten rezipierte und übertragene Gleichnis steht im Evangelium des Lukas (15, 11-32). Dort erzählt Jesus die Geschichte eines Kindes, das sich sein Erbe auszahlen ließ, in die Welt zog und es nach und nach verprasste. Schließlich lag der Sohn am Boden, verarmt, gedemütigt, vereinsamt, vom Leben, das ihn umgibt, abgeschnitten. Erst jetzt, in der tiefsten Not, erkennt er und bereut. Entschieden steht er auf, und macht sich auf den Weg nach Hause, in der Hoffnung um Vergebung. Wie es heißt, kommt ihm der Vater, sobald er ihn aus der Ferne erblickt, mit offenen Armen entgegen.

„Vater“, „Sohn“, – das sind Metaphern, Sinnbilder. Sie tragen als Hauptakteure das Narrativ des selbstverschuldeten Scheiterns, des durchlittenen Erwachens und einer Umkehr, die sich wohl in einer Mischung aus Not und Überzeugung begründet. Die Handlung erzählt von der Freiheit des Menschen, was immer einschließt, schwere Fehler zu begehen, sie aber auch ggf. zu korrigieren.

Keine Geschichte scheint mir näher an der gegenwärtigen Situation der Menschheit zu liegen als diese. Das Geschenk des evolutionären Werdeimpulses, das uns hervorbrachte, uns sich entfalten ließ und uns in überbordender Fülle und Schönheit nährte, schwindet und verblasst. Mit Füßen getreten, gnadenlos ausgebeutet, dem Materialismus geopfert, erkaltet sein Zauber. Das Menschheitskind hat sich nicht nur abgenabelt. Es hat den Konsens des Lebens, die Weisheit vom Empfangen und Geben, vom Werden und Vergehen in Maß und Harmonie, verlassen… Und so wendet sich nun die Mutter gegen das Übel, das mit Gift auf Schöpfungsliebe antwortete.
Eine vielleicht noch mögliche „Besänftigung“ ist allenfalls in radikaler Umkehr möglich. Aus der selbstverliebten Lethargie des immer weiter so aufstehen, sich besinnen, den ganzen Tand wie Staub abschütteln und sich dem Leben in pflegender Absicht zuneigen. Das Kind muss endlich erwachsen werden, den pubertären Gestus überwinden. Es ist gefordert, seinem bereits wartenden inneren Wachstumsimpuls zu folgen und loszugehen – zur Liebe und zum Leben hin. Es ist der Weg zum wahren Selbst. Auch wenn dann kein „Vater“ wartet, um ein Festmahl zu bereiten, so ist doch die Begegnung mit dem Leben und das Verschmelzen zum Einssein Feier des Lebens genug.

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