Einfachheit in Perfektion

ClausAllgemein

Gelegentlich kann man selbst in der Wahrnehmungsblase des Fußballs grundlegende Lebensweisheiten entdecken. So analysierte der deutsche Nationaltorwart Marc-André ter Steegen hinsichtlich des Spiels gegen Frankreich, im September des vergangenen Jahres: „Wir wollten eine Struktur haben, die relativ einfach ist. Manchmal ist es mehr, die Einfachheit in Perfektion zu bekommen.“
Sich auf das Einfache, Entschlackte, Klare und Überschaubare fokussieren und dieses zur Perfektion führen…

Antoine de Saint-Exupéry formuliert es in großer Schlichtheit und Klarheit: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“
Solches gibt Sicherheit, ist abrufbar ohne eine vorausgehende große Analyse, verbunden mit einer intuitiven, postdiskursiven Gewissheit.
Mit möglichst wenigen Mitteln möglichst viel zu erreichen – es gibt wohl nicht viele ältere Ideale. Schon in der antiken Naturphilosophie sollte eine anspruchsvolle Theorie nicht nur schön bzw. ästhetisch in ihrer inneren Logik und unkompliziert anwendbar, sondern eben auch einfach sein. Für diesen Gedanken steht ebenfalls Albert Einstein, wenn er eine Theorie als um so eindrucksvoller bezeichnet, „je größer die Einfachheit ihrer Prämissen … und je weiter ihr Anwendungsbereich ist.“

Letztlich betrifft dies das ganze Leben und zieht mannigfache Spuren in der Kulturgeschichte der Menschheit. So entwickelte sich Einfachheit in der sogenannten Vorklassik (etwa 1740 bis 1780) zum Ideal der Kompositionskunst und überwand damit den überbordenden Stil des Barock. In der japanischen Kultur gilt sie als Gestaltungsprinzip seit dem 12. Jahrhundert und drückt sich vor allem im Weg des Zen als Suche nach der natürlichen Einfachheit durch Zurückhaltung aus. Zu höchster Reife findet die aus Minimalismus hervorgehende Einfachheit in der japanischen Kunst des Blumenarrangements, Ikebana, einer auf Harmonie bedachten Ästhetik des Ordnens und Anordnens. Es lassen sich hier Vergleiche zu modernen Kunstrichtungen ziehen, wenn man etwa an die Tauben- oder auch Stierstudien von Pablo Picasso denkt. Und solche ästhetische Perfektion durch Reduktion prägt schließlich den Weg des Bauhaus.

Hinter Einfachheit in Perfektion steht die ultimative Einsicht, dass es möglichst wenige Faktoren sind, die einen solchen Zustand herbeiführen. Wobei dieser dem Menschen selten einfach so zufällt. Zumeist ist er verbunden mit langen, mühseligen Wegen und Umwegen des Klärens, des Lassens und Loslassens. Ganz entscheidend aber ist, hinter den Erscheinungsformen des sogenannten Äußeren dessen verborgene innere Wesenheit zu erahnen, die einen Ausdruck finden will.

Ein verstorbener Bildhauer-Freund, Werner Ratering, lagerte die aus dem Berg gehauenen Sandsteine oft wochen- und monate- , ja jahrelang vor und in seinem Atelier in einem münsterländer Wasserschloss. Immer wieder lief er um sie herum, schaute sie einfach nur aus verschiedensten Perspektiven an. Es ging ihm um ein Erspüren dessen, was seit Millionen Jahren in dem Stein ruht und zu einer Form befreit werden will. Er hörte auf jede Ader und jede Bruchlinie, bevor er irgendwann vorsichtig Hammer, Meißel und Körner in die Hand nahm. Dann aber war jeder Schlag perfekt, eine meditativ anmutende Bewegung. Keine überflüssige Intervention, so gut wie keine Korrektur. Es entstand etwas, ein Außen, das im Innern bereits da war. Und manchmal half der Stein mit, wenn er unvermutet an einer Stelle brach und dem Blick eine neue Dimension erschloss.

Vergleichbare, lang entwickelte Radikalität und Klarheit, trägt jede kontemplative Bewegung und jede entsprechende Anweisung, gipfelnd im Halten und Tragen der reinen Stille, die ansonsten nichts weiter bedarf.
Einfachheit ist der Wesensmodus von Spiritualität, von ethischer Orientierung und innerer Ausrichtung.
Einfachheit, nach unzähligen Übungsstunden, strahlt aus dem Klang eines Instruments, gerade auch dem der menschlichen Stimme. Und sie adelt die tänzerische Bewegung und den schauspielerischen Ausdruck.
Einfach und auf ihren Gehalt hin gewogen, sollten die Worte und Gesten sein gegenüber den Trauernden, den Leidenden, den Verwundeten und den von Sorge Beschwerten.
Nur Einfachheit vermag schließlich Haben und Besitz zu adeln, wenn diese sich auf das Existentielle hin bescheiden und keinem Fetisch nachjagen, der in kulminierender Anhäufung mündet. Wobei Einfachheit und Schönheit sich gewiss nicht ausschließen, sondern sich eher gegenseitig ermutigen.

Einfachheit in Perfektion veredelt die oberste Stufe von Lebenskunst. Sie ist, wie Leonardo da Vinci es aussprach, „die höchste Form der Vollendung“.

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Das Foto habe ich im Bauhaus-Museum in Weimar gemacht.