Ostern ist ein universaler Prozess

ClausAllgemein

Passion und Ostern fließen in einem gemeinsamen Energiestrom. In historischer Analogie zum Geschehen vor 2000 Jahren werden sie zwar sukzessive und punktuell als Zeitelemente des Kirchenjahres gefeiert; doch im Wesen stellen sie einen zusammenhängenden, ganzheitlichen Ausdruck von Sein dar. Sie bewegen sich im ewigen Prozess – nicht Kreislauf – von Werden und Vergehen, Niedergang und Neuschöpfung, Leiden und Durchbruch des Heils, Verdunkelung und Aufscheinen des Lichts, Verwundung und Heilung. Und dies betrifft, weiß Gott, nicht nur den Menschen. Den kosmischen „Karfreitag“ und das universale „Ostern“ gilt es mit zu bedenken bzw. überhaupt erst einmal wahrzunehmen. Sie wohnen dem grundsätzlichen Lauf der Dinge, dem Gang des Universums inne.

Dieses Geschehen mag beim Menschen möglicherweise, ja höchstwahrscheinlich Empfindungen auslösen. Wertungen jedoch haben hier nichts zu suchen. So bildet es einen unangebrachten Dualismus, Ostern als den Sieg des Lebens über den Tod zu bezeichnen. Das jeweils Eine gäbe es ohne das Andere nicht. Es geht nicht um Siegen und Besiegen, sondern um die Annahme und Wertschätzung des Jeweiligen zur jeweils rechten und angemessenen Zeit.
Was aber macht Ostern dann trotzdem zu so etwas Herausragendem?

Das Passionsgeschehen in unserem Leben, und auch das von Mutter Erde, ist manchmal schier unerträglich. Der Schmerz will nicht nachlassen, der durch Schicksalsschläge, Krankheit, Tod, Verlassensein, Zerstörung, Vernichtung etc. entstand. Leicht legen sich nun Schatten auf die Seele und erschweren ihr die Orientierung. Österliche Empfindung dient dann für das alltägliche Passionsgeschehen als ein berührender Klang aus dem Hintergrund, als ein Nordstern-Bewusstsein in dunkler Nacht. Sie hält jenes vielleicht unbegründete, ja unbegründbare Lebensvertrauen wach – dass es weitergeht, in welcher Form und Energie und welcher Dimension, die möglicherweise völlig unerkannt in uns liegt, auch immer. In österlichem Bewusstsein ereignet sich vertrauendes Nichtwissen in einen unbekannten Raum hinein – ausgehend von dem: Dein Wille geschehe … was „Dein“ dabei auch meinen mag.

Die Außerordentlichkeit des Christus-Ereignisses, dieser Einbruch des „Himmlischen“ in das „Irdische“ als Verkörperung in einem Menschen, kann als Intervention gelesen werden, jegliche Seins-Spaltung zu überwinden und eine neue Einheit herzustellen. Es dient unserer Erinnerung an das Ewige, Liebende und Heilige, das sich in jedem Menschen zeigen kann, wenn er sich seines Wesensgrundes besinnt.
Damit ist alles gegeben! Was bleibt, liegt weitgehend in menschlicher Verfügung. „Auferstehen“ durch Güte, „Siegen“ durch Vergebung, sich „Ermächtigen“ durch Hingabe – wie das Wasser, das mit der Zeit selbst den harten und scharfen Stein abzuschleifen und zu runden vermag. Auferstehen wird schon in jenen Momenten erlebbar, wo die Zuversicht zu dem noch Konturenlosen und Geheimnisvollen hin mehr Kraft entwickelt als der ständige Zweifel.

Diese für jeden Menschen geltenden Gewissheiten gelten auch für Kulturen, wenngleich in anderen Zeitdimensionen. Ihre Passion vollzieht sich langsamer. Sturz und Vergehen treten weniger unvermittelt ein als beim biologischen und geistigen Leben. Gleichermaßen gilt dies für die mögliche Transformation hin zu neuer Gestalt. Beides mag in vielen Menschheitsgenerationen ineinander übergehen, wobei im Absterben des Alten die Neugeburt aus der Asche des Verblichenen bereits wartet. Es dient dem Erwachen des Phönix, wenn nichts dabei überdauert, was zuvor in den Niedergang führte. Wie besonders gilt das hinsichtlich der aktuellen Zerstörungen auf der Erde. Und das unterscheidet die gegenwärtige Erdzeitstunde von allen vorherigen, in denen auch kleinere Erneuerungen bzw. Mutationen hinreichend waren, um den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen.
Ostern zeigt sich in dieser geschichtlichen Bewegung als ein Jahrzehnte bis Jahrhunderte, vielleicht noch weit länger dauernder Prozess. Gottes Mühlen laufen bekanntlich langsam, dafür aber gründlich.

Auch in dem erdgeschichtliches Drama, dessen Teil wir sind, wird Ostern kommen – dies ist ein Amen. Aber es wird anders kommen, als wir es erwarten; nämlich zunächst als Überlebenszeichen der Erde – trotz des Menschen, und in ihrem Zeitmaß. Um so wichtiger scheint es mir, dass wir trotzdem unser Ostern feiern – als Erinnerung an vergangenes Heilsgeschehen für den Menschen und Versicherungszeichen für Zukünftiges, was und wann immer das dann auch sei. Dahinter steht die Erwartung, dass der Mensch überstehen wird. Vielleicht auf Dauer nicht in jener verkörperlichten Existenzweise, die uns vertraut ist, aber in jedem Falle aufgegangen und aufgehoben im Weltgeist, in der geistig-evolutionären Sphäre, aus der in abertausenden Jahren sich ein neues Lebensgleichgewicht entwickeln wird.

Die Erde ist ein Labor des Lebens, eingehüllt in einen experimentellen Geist. Dieser spielt alle Variationen von Sein und Vergehen und Neuschöpfung durch. Was für ein wunderbarer Prozess, an den wir uns aus Anlass des Osterfestes erinnern können! Getragen wird er von einem für uns nicht sichtbaren Wirken im Hintergrund. Auf dieses gilt es zu vertrauen, wider alle sogenannt rationalen Gewissheiten und wider alle entsprechenden Zweifel. Die zarten Stimmen wollen dann gehört, die federleicht in der Luft schwebenden Zeichen und Regungen wahrgenommen werden; so wie das Vorbild, das die Vögel im Frühling geben, gemeinsam mit der erwachenden Flora. Still wächst das Neue, begleitet vom Gesang der Lebensfreude. Und in der Stille wird all dies bewusst.

„Denn am tiefsten Grund ist das Leben wundersame Stille und sein Geheimnis ist so überwältigend, wie es seine Schönheit ist. Lautlos tritt alles Wachstum, das biologische wie das geistige, aus einem inneren Herzen hervor, dem die Welt gehört.“ (Henri Boulad)

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