Welch ein Paar…

ClausAllgemein

Vor 855 Jahren starb Heloisa, 22 Jahre zuvor Abaelard. Sie zählen zu den bedeutendsten Liebespaaren der Geschichte. Ihr Lebensweg war einzig und weist weit über die melancholisch-romantische Verklärung hinaus, die uns etwa in Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“ begegnet. Die Briefe, die sich Heloisa und Abaelard schrieben, wurden zur Vorlage zahlreicher literarischer Werke durch die Jahrhunderte. Zum Verständnis:

Petrus Abaelardus (1079-1142), Theologe, Philosoph und der große Vordenker einer geistesgeschichtlichen Epoche, die wir Scholastik nennen, begegnet in Paris Heloisa (1095-1164). Als Domherr, und zugleich ihr Hauslehrer, baut er zu der blutjungen, überaus gebildeten und hochbegabten Frau eine leidenschaftliche Liebesbeziehung auf.
In Liebe zu diesem Mädchen entflammt, suchte ich nach einer Gelegenheit, um sie durch täglichen Verkehr in ihrem Hause mir vertraut zu machen und sie leichter zur Hingabe zu verleiten.
Aus der Beziehung geht ein Sohn hervor, Astrolabius  („Der nach den Sternen greift“). All das geschah nicht unbedingt zur Freude von Heloisas Onkel Fulbert, Chorherr von Notre Dame in Paris und ihr Vormund. Beide vermählen sich schließlich heimlich mit Zustimmung des Onkels, wenn auch gegen den inneren Willen Heloisas.
In dem Namen „Gattin“ hören andere vielleicht das Hehre, das Dauernde; mir war es immer der Inbegriff aller Süße, Deine Geliebte zu heißen, ja – bitte zürne nicht! – Deine Schlafbuhle, Deine Dirne.

Abaelard bringt Heloisa bald darauf in das Frauenkloster, in dem sie als kleines Mädchen erzogen und ausgebildet wurde. Fulbert fühlt sich hintergangen. In dessen Wohnung lässt er Abaelard von gekauften Gesellen überwältigen und entmannen. Abaelard überlebt die Kastration. Er zieht sich ins Kloster zurück, durchlebt an verschiedenen Orten endlose Prozesse des Scheiterns. Heloisa lebt weiterhin in dem Konvent, bis sie später mit Unterstützung Abaelards ein eigenes Kloster gründete, den Paraklet („Heiliger Geist“) und dort Äbtissin wurde.

Mit dem Desaster dieser Trennung, das beide durchlebten, vor allem Abaelard auch körperlich, wandelt sich nun die Beziehung. Heloisa sieht sich zunächst der Sinnlosigkeit ausgesetzt.
Dich verlieren, heißt mein eigenes Leben verlieren…Ist mein Selbst nicht bei Dir, so ist es nirgends, und ohne Dich hat es keinen Sinn und kein Wesen.

Sie legt nach Abaelards Bitte, oder war es doch eher eine strikte  Aufforderung, das Mönchsgelübde ab. Dieses Opfer ihres Lebens allerdings bringt sie weniger Gott, als Abaelard. Aus der Verzweiflung beginnt nun eine wahre Liebe zu wachsen, die den ganzen Seelenraum erfüllt. Entgegen aller Norm, aller gesellschaftlichen Umwelt, aller religiösen Selbstverständnisse ihrer Zeit hat Heloisa ihre Liebe und deren Intensität nie geleugnet. Sie hat ihr bedingungslos die Treue gehalten. Das machte beide wandlungsfähig – die Liebe und Heloisa selbst. So konnte sie Raum um Raum in ihrem Inneren durchschreiten und dem Satz von Augustinus mit dem Zeugnis ihres Lebens Sinn einhauchen: „Liebe, und dann tu, was du willst“ (dilige et quod vis fac). Echte Liebe ist unerschütterlich und auf eine tiefe Weise, allen äußeren Umständen zum Trotz, wahr. Sie kann nicht unrein sein.

Abaelard lebt zeitweise im Paraklet, gibt ihm das theologische und klösterliche Fundament. Er baut dort das Utopia, die Kirche des Heiligen Geistes, jenseits aller klassischen kirchlichen Hierarchien. Es ist ein „mönchisch-kommunistisches, auf asketisch-spiritualistischer Grundlage“ errichtetes Lebensmodell, wie Friedrich Heer (1916-1983) schreibt. Abaelard macht aus seiner Abscheu dem institutionellen Dogmatismus und dem Reichtum, auch dem der Kirche gegenüber, keinen Hehl. In einem Lehrgedicht für seinen Sohn schreibt er:
Wer mehr für sich behält, als was zum Leben nötig ist, greift dem Armen mit der Faust an die Kehle.

Ohne Heloisa und ihre völlig bedingungslose Weggefährtenschaft, hätte Abaelard, der von Rationalität und Vernunft beherrschte große Geist und zugleich der Liebe Hingegebener, wohl nie sein Denken geerdet. Beide bilden eine Symbiose von überzeitlicher Strahlkraft. Ihr Licht als Paar vereinigt sich zu einem Stern, der bis in unsere Tage einen Weg weisen will.
Zerbrecht nicht an den Katastrophen, wachst gemeinsam…

Petrus Venerabilis (1092/1094-1156), Theologe und Klosterreformator, kondolierte nach dem Tod von Abaelard in einem Brief an Heloisa:

Der Bogen des gemeinsamen Lebens, der aufsteigt aus der fleischlichen Vereinigung der Körper in Lust, hinaufführt zur Liebe des Geliebten und der Geliebten, des Ehemanns und der Ehefrau, des Mönchs und der Nonne, des Abtes und der Äbtissin, bis er einmündet in die Hoffnung der dereinstigen wonnevollen Vereinigung, in der die Liebe zueinander unvorstellbar schön und unvorstellbar fest und unvorstellbar ewig sein wird in der gemeinsamen Schau Gottes, denn Gott ist die Liebe.(1. Joh.4,8)
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(Die wichtigsten, ins Deutsche übersetzten lateinischen Originalquellen habe ich dem außerordentlichen Werk von Adalbert Podlech (1929-2017) entnommen: „Abaelard und Heloisa oder Die Theologie der Liebe.“ München 1990, 504 S.)
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