Allpräsenz – oder: Gott ist Geist

ClausAllgemein

Es gibt wohl keine schwerwiegendere und zugleich problematischere philosophische Frage als die nach dem Sein und dem Wesen dessen, was Gott genannt wird. 
Zu einer Frau, die davon ausging, dass hinsichtlich göttlicher Existenz der materielle Ort bei der Anbetung eine Rolle spiele, sagt Jesus von Nazareth: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh. 4,24) Von dem unsichtbaren Gott sprechen Texte der heiligen Schriften oder auch von der selbst nicht erschaffenen ersten Ursache, der Energie hinter allem Sein.
Gott ist nach diesem Verständnis geistige Energie – die das gesamte Universum erfüllt und aus der alles wurde, wie es beispielhaft im erste Buch Mose steht: Der Geist schwebte über den Wassern. Dieses Allpräsente lebt selbstredend auch im Menschen und damit der menschliche Geist in ihm, eine für unser Selbstverständnis und unser Selbstbewusstsein wesentliche existentielle Einsicht. Es war in einem weiterführenden Sinne wohl das, was Jesus meinte, wenn er sprach: „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh. 10.30) Gleichzeitig hat dies selbstredend nichts mit Monopolisierung durch einzelne Religionen, etwa dem Christentum, zu tun. Denn „der Geist weht, wo er will.“ (Joh. 3,8)
Mag es der Große Geist in indianischen Kulturen sein, Ruach, als die weibliche geistige Wesenheit Gottes im Judentum, der Heilige Geist im Islam, der das Wort Gottes „in Wahrheit herab gebracht, die Gläubigen zu stärken und als eine Leitung und frohe Botschaft…“ (Sure 16, 102) oder im Hinduismus der Odem Gottes, der als reiner, unveränderlicher Geist hinter aller vergänglichen materiellen Welt steht.

Der reine Geist betritt in der physischen Existenz des Menschen die Relativität des Leiblichen. Einer an sich absoluten Qualität steht somit das Bedingte mit seinen Möglichkeiten und gleichzeitigen Beengungen gegenüber. Größer könnte in der Folge die Herausforderung für den einzelnen Menschen nicht sein. Denn es geht darum, diese Qualität in uns, trotz aller Grenzen, zu entdecken und ins Leben zu befreien. Das heißt vor allem, das substantielle Geistige als Grundelement in der menschlichen Existenz zu pflegen. Dazu muss es manchmal erst erweckt und Stufe um Stufe verfeinert werden, wenn es durch die Geschäftigkeit der Welt verdrängt oder gar verschüttet wurde. Stille und eine kontemplative Haltung bilden hierzu den Königsweg.

Die Zuwendung zum Geistigen geschieht nicht nur, um der eigenen Potentialität gerecht zu werden. Solches endet schnell in spirituellem Narzissmus. Vielmehr leistet jeder geistige Raum in uns einen Beitrag zu der Geistsphäre der Menschheit insgesamt. Soll diese zu ihrer wahren Größe und Schönheit geführt werden, bedeutet das für jeden einzelnen Menschen und für jede Kultur den Anspruch fortschreitender geistiger Evolution.
Der moderne christliche Mystiker und Evolutionsforscher Teilhard de Chardin (1881–1955) sah diesen Prozess auf dem Weg von Alpha, dem Beginn, bis zu Omega, der Vollendung. Dort dann, in der Noosphäre, dem geistigen Universum, das Menschheit und Kosmos durchdringt und umhüllt, kommt es zur Verschmelzung des Göttlichen mit dem Menschlichen.

Warum ist die Gottesfrage überhaupt von Belang?
Kann man nicht auch ohne sie gut leben?
Auf eine gewisse Weise sicher. Es hängt davon ab, was wir als gut bezeichnen und womit wir uns begnügen.
Nenne es Gott, nenne es den Urgrund, nenne es die große Mutter oder den himmlischen Vater, nenne es mit Albert Einstein und Baruch de Spinoza (1632-1677) den universellen kosmischen Geist, der sich in der gesetzlichen Erhabenheit und Harmonie des Seienden offenbart.
Worte sind das, alles nur Worte… Aber eines verbindet sie. Es ist die Vorstellung und die innere Gewissheit, dass im Universum kein Zufall herrscht und keine Grundlosigkeit. Allein, dass der Mensch dies denken und, wenn er will, auch empfinden kann, ist ein Zeichen für die Existenz des Geheimnisvollen. Denn auch hier gilt der nur vordergründig trivial klingende Satz, dass von Nichts auch Nichts kommt. Wo aber etwas ist und wird, existiert auch ein Etwas als Ursprung und Quelle und Verheißung.

Ohne Gott fehlt die Klammer,
die das Ganze zusammenhält,
und die innere Kraft,
die das Ganze trägt.
(Alfred Delp SJ, 1907-1945)

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