Abseits des Lichts – Über das Wesen des Bösen II

ClausAllgemein

Das physische Böse, auch Übel genannt, das moralische Böse, das aus der Wahlfreiheit des Menschen resultiert und das kulturell verdichtete, in Strukturen eingebrannte Böse repräsentieren die in der Welt sichtbaren Wesenheiten. Wir können sie uns als allgegenwärtige Erscheinungen bis zu einem gewissen Grade erklären. Anders stellt sich das beim metaphysischen Bösen dar.

Die Auffassung, dass das Böse keine eigene Wesenheit, ja nichts außerhalb der menschlichen Natur sei und seine Ursachen deshalb nur im Menschen selber gefunden werden können, ist weit verbreitet. Sie reicht bis in die Theologie, und beherrscht den wissenschaftlichen, philosophischen und psychologischen Diskurs, so er denn überhaupt stattfindet. Gut und Böse lediglich als ein Eigenschaftsfeld des Menschen zu sehen, nur weil wir als Gattung diese Energien erfahren und sie differenzieren können, scheint mir jedoch eine typisch anthropozentrische Simplifizierung und damit Verdunkelung zu sein. Und damit zeitigt das sogenannte Böse wohl einen eigenen Triumph. Er hilft wesentlich, dass es im Unerkannten wirken kann.

Verstehen wir das Böse ursächlich allein in Kategorien des Individuellen und Menschlichen, verhindert das ein Begreifen in den Tiefendimensionen, die seinem Wesen entsprechen. Gewiss, es scheitern alle Versuche, das Böse in der Logik von uns Menschen beweisen oder gar empirisch belegen zu wollen; sie scheitern genauso kläglich wie Gottesbeweise. Das geistig, körperlich und zeitlich Begrenzte vermag das Unbegrenzte eben nie hinlänglich zu erfassen, obwohl es ihm in der großartigen Verbundenheit allen Seins ja selbst teilhaftig ist. Wir können immer nur Spuren und Facetten wahrnehmen und sie der Analyse auf unterschiedlichsten Ebenen zugänglich machen – die Kraft der intuitiven Erkenntnis und auch der Glaubenszugänge inbegriffen. So manches, nicht nur Gedachte, sondern auch Erfahrene und sinnlich Wahrgenommene, entzieht sich dabei der Sagbarkeit, weshalb wir so gerne in Metaphorik, in die kraftvolle Ausdrucksweise von Bildern ausweichen.

Mag das Böse auch nicht greifbar und in materieller Substanz allein nicht vorstellbar sein. Dass es spürbar ist, entspringt keiner Täuschung. Wie das Göttliche vermag es in Seele, Geist und Leib auf Resonanz zu treffen. So kommt es ins Leben, wird zur Erdenenergie und tritt in den Verantwortungsbereich des Menschen. Es bedient sich Geist und Materie. Beide nimmt es um so stärker in seinen Sog, je schwächer die bewusste Ausrichtung des Menschen auf das Göttliche und auf das Gute wird.

Der Ursprung des Bösen liegt und verbleibt im übermenschlichen Seinsbereich. Es ist deshalb eine folgenschwere Verharmlosung, wenn wir das Böse lediglich als Verminderung oder Abwesenheit des Guten betrachten und es ausschließlich der menschlichen Verantwortung zurechnen. Alles Gute käme dann von Gott, alles Schlechte vom Menschen. Diese paradoxe Vorstellung wird weder der Größe und Umfassendheit des Metaphysischen noch der Begrenztheit des Menschen, aber eben auch nicht seiner zugleich immer mit gegebenen Gotteskindschaft gerecht.

In den heiligen Schriften der Weltreligionen werden die Mächte des Bösen als so selbstverständlich existierend gesehen wie Gott. Wirklich eindeutige Belege für das Entstehen des Bösen sind jedoch genauso wenig zu finden wie über den Ursprung des Absoluten selbst. Es braucht deshalb an dieser Stelle einen Blickwechsel.

Das Göttliche ruht jenseits von Gut und Böse bzw. nimmt beide in sich auf. Gott als das von Anfang an umfassende und ausschließliche Gute zu sehen, das zudem von sich aus das Böse in der Welt verhindert, ist ein menschliches Missverständnis. Es sollte eigentlich seit den Wahnsinnsverbrechen des 20. Jahrhunderts ausgeräumt sein. Reichlich Studienmaterial bietet in dieser Hinsicht schon die hebräische Bibel, das so genannte Alte Testament. Jahwe gibt sich als gut und böse zu erkennen, wirkt Heil und Unheil. Er bringt Beides in die Welt, erscheint als Helfer, unbarmherziger Verfolger, Retter und Versucher. Immer zwingt er den Menschen in die Entscheidung. Von dieser polaren Seinsweise des Göttlichen künden auch die hinduistischen Lehren. Die absolute Schöpfergottheit Brahman setzt das Widersprüchliche in all seinen Schattierungen selbst in das Sein. Es ist Ausfluss seiner integralen Wesenhaftigkeit. So gesehen zeigt sich das Böse in seinem Ursprung und seinem Auftreten in der Welt nun als immanenter Teil des Lebens.

Gehört die Wahlfreiheit zum Menschen, so setzt Wahl immer Vollkommenes und Unvollkommenes, Gutes und Böses voraus. Freiheit wäre nicht ohne die Existenz der Differenz als Prinzip der Schöpfung. Nehmen wir das als gegeben, macht es keinen Sinn mehr, von einer unvollendeten Schöpfung zu sprechen. Ihre Vollendung liegt gerade in der Dynamik und Dialektik, die Freiheit und Entwicklung ermöglicht!

Für den einzelnen Menschen bedeutet das: Um in die Welt zu treten, benötigt das Böse den menschlichen Geist und die menschliche Seele als Resonanzfeld. Hier liegt der Schlüssel. Albert Schweitzer maß Gut und Böse an der Lebensdienlichkeit. Gut ist, was dem Leben dient, es fördert und seine Potentiale befreit. Böse ist, was Leben willentlich und wissentlich schädigt, an seiner Entfaltung hindert, vernichtet. Sich dessen auf den Wegen unseres Lebens bei allem Tun und Nichttun zu erinnern und zu vergewissern, verweigert dem Bösen den Zutritt in das bewusste Leben. Es schafft Raum für die Liebe.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema finden Sie in meinem Buch:
Das Gute im Bösen. Die Versuchung als Impuls für das innere Wachstum. Verlag Via Nova

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Der befreundete Musiker und Komponist Markus Stockhausen führte vor Kurzem ein Gespräch mit mir zur Frage, ob die Menschheit denn eine Chance habe. Sie können es ansehen auf seinem You Tube Kanal
https://www.youtube.com/watch?v=_F8KGe_b_rI
oder dem Kanal von Gunnar Kaiser
https://youtu.be/3_q7tCiTCBI