Was für ein Zauber…

ClausAllgemein

Die Welt, in der wir leben, ist kalt und nüchtern geworden durch die Weisen, in denen wir auf sie schauen, über sie reden, sie missbrauchen und verbrauchen. Von ihrer Entzauberung sprach der deutsche Soziologe Max Weber bereits vor gut 100 Jahren und dass man im Wahn der Intellektualisierung und Rationalisierung glaube, alles durch Berechnung beherrschen zu können.

Gewiss, Mannigfaches, was in früheren Epochen als geheimnisvoll galt, haben der wissenschaftliche Geist und unermüdliches Forschen auf sachlich begründete Nachvollziehbarkeit reduziert. Mancher Zauber und manches sogenannte Mysterium wurden so entkleidet, dabei jedoch zugleich das Kinde hin und wieder mit dem Bade ausgeschüttet. Denn etwas zu verstehen und es zu erklären, sagt nicht unbedingt etwas über sein Warum aus und über das, was fern der bloßen Funktionalität und mechanistischer Verständlichkeit liegt. Natürlich ist es angemessen, ja vom menschlichen Geist her unausweichlich, unser Sonnensystem, in dem jeweils völlig unterschiedliche Planeten sich elliptisch um ihren Mutterstern bewegen, analytisch zu betrachten und ihnen astronomische und geologische Koordinaten zuzuweisen. Eine ungetrübte Seele nimmt jedoch noch anderes wahr. Ergriffen kann sie nur ehrfürchtig und staunend registrieren, was da geheimnisvoll durch einen unendlichen Raum schwebt – in atemberaubender Präzision, Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit. Ähnliches gilt für die Lebenswelt der Tiefsee, die Fülle an Farben und Seinsformen der Regenwälder, den Tanz der Galaxien in einem nicht fassbaren und unverstandenen Multiversum. Nicht zuletzt schließlich das irdische Leben selbst, jeder einzelne Baum, Vogel oder Mensch.
Und solches gilt genauso für die Hervorbringungen menschlicher Schöpferkraft. Denken wir etwa an die Musik von Bach, eine Sinfonie von Beethoven, die Fresken in der sixtinischen Kapelle, den zum Göttlichen sich wölbenden Farbenraum der Kathedrale von Chartres oder die Poesie von Rilke. All dieses ist exemplarischer Ausdruck einer kosmischen Harmonie, des ewigen Klangs einer göttlichen Komposition, mit dem Menschen als Vollender.

Warum aber sprechen wir von Zauber? Was meint das, jenseits der Fingerfertigkeit und Verhüllungskunst von Illusionisten und der Schaffung von Effekten, die sich nicht selten nur als fauler Zauber erweisen? Was spielt mit in jenen äußeren oder inneren Offenbarungen, die uns in ein ganz eigenes Weltempfinden, einen Freudenklang der Seele führen?

Der Zauber legt ein Gewand von Ästhetik und Schönheit über das Gegebene. Er lässt inmitten des sogenannten Alltäglichen etwas aufscheinen oder besser durchscheinen, das berührt und ergreift. Die Seele sieht sich in ihrer ursprünglichen Reinheit erkannt und geht in Resonanz. Momenthaft entsteht eine Aura zwischen Mensch und dem Zauberhaften. Dieses muss nichts Außergewöhnliches sein, aus dem puren Sein aufsteigend kann der Zauber umhüllen.
Allerdings ist er nicht allgemein, nicht intersubjektiv. Er bedarf, um erkannt, oder besser: gespürt zu werden, eines offenen Bewusstseins, einer Zuwendung zum Dasein in Liebe, Ehrfurcht und auch einer gewissen Scheu. Verzaubert kann nur jenes Wesen werden, das sich eine letzte Unschuld bewahrt hat, eine tiefe Sehnsucht in sich trägt und eine suchende Wahrnehmung. Dann vermag im Einklang mit der eigenen Seelenmelodie die verschneite Landschaft, der in sanften Schleifen durch eine grüne Aue sich bewegende Bach, der Gesang einer Amsel im Sonnenuntergang, das von Luciano Pavarotti interpretierte „Nessun dorma“ oder ein ganz in sich versunken da sitzendes, spielendes Kind das auszulösen, wozu du einfach nur sagen kannst: „Was für ein Zauber…“

Bei aller äußeren Zerstörung, inneren Verwahrlosung und seelischen Verrohung in der Welt erinnert uns der Zauber an das Paradieshafte, das noch immer den kosmischen und irdischen Reigen ziert. Es lässt sich überall finden und nahezu in jedem Moment. Es gehört zur Familie erfüllter Zeit, in der sich das Wunder stets präsent zeigt. Als Kairos bricht es in Gleichgültigkeit und Trägheit hinein, wartet darauf, beachtet und gewürdigt zu werden.
Wer sich vom Zauber des Seins berühren lässt, lernt Demut, ohne sich darum bemühen zu müssen, setzt seine Schritte sorgsam in schützender Haltung. Er will nicht ergreifen, er will bewahren.

Es ist Zeit, eine Gegenwart und ein Gegenwärtigsein zu überwinden, deren nüchterne Augen an dem Wagnis hindern, in die schönsten Träume und den allenthalben sich verströmenden Zauber des Seins einzutauchen. Wenigstens aber möge man sich doch mit Dante Alighieri daran erinnern, dass uns drei Dinge aus dem Paradies geblieben sind:

Die Sterne der Nacht
Die Blumen des Tages
Und die Augen der Kinder

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