Die Stunde der Schönheit

ClausAllgemein

Der Januar ist dunkel hier im Nordwesten, oft grau und kalt, nasskalt. In manche Tage muss man sich hineinfinden, ja hineinkämpfen; sie rufen nicht von sich aus danach, das Licht im Dunkel zu suchen und sich den wärmeren, hellen Tagen entgegen zu freuen.
Das Land ist kälter geworden, was nicht am Januar liegt. Auch da muss man sich hineinfinden und dem Drang widerstehen, das Geschehen einfach geschehen zu lassen, ohne ihm die Schönheit gegenüberzustellen. Die Schönheit in so vielen Dingen, das Erhabene, die Kultur, die kindliche Lebensfreude, der Zauber in manchen Begegnungen.

Wenn das Land ergraut und zu erstarren beginnt; wenn die Sorge um Krieg und Frieden, um Natur und Mitwelt, um das alltägliche Klarkommen Kraft und Zuwendungsenergie absorbiert; wenn alle Mittel in das vordergründig Notwendige gepresst werden, was alles nur noch schlimmer macht; wenn man meint, dafür sei jetzt grade keine Zeit und auch kein Geld da und irgendwie ginge es auch mal ohne; dann ist die Stunde der Schönheit angebrochen. Mit ihren Schwestern Ästhetik und Harmonie markiert sie die leuchtende Differenz zu dem, was im bändigenden und erstarrenden Blick auf das Krisenhafte die Sinne wie mit Mehltau überzieht. In ihr scheint der unverdorbene Ursprung des Seins in Gleichzeitigkeit auf mit einer Einladungsgeste aus dem Kommenden. Sie schmückt das Unzulängliche in unseren Bemühungen, die uns mitgegebene zutiefst menschliche Nicht-Perfektion und schützt sie so ein wenig davor, dass zynisch und defätistisch auf ihr herumgetrumpelt wird.

Bisweilen sehen sich Kunst, ästhetisches Bemühen und die Suche nach Schönheit, gerade im Alltäglichen, mit dem Vorwurf des Eskapismus, der Weltflucht, konfrontiert. Doch es ist das Gegenteil, ist so etwas wie ein beharrliches Erinnern an das, was doch schon immer inmitten lebt.
So Vieles wird zerstört, zerbombt, zubetoniert, vergiftet, abgeholzt, mit Worten und Verhalten gemeuchelt. Wie überlebensnotwendig zeigt sich gerade dann die Fürsorge darum, dass immer irgendwo eine Blume blüht, ein Lied erklingt, eine Kerze leuchtet und Sternenstaub gestreut wird – als Erinnerung und Zeichen, als Vorstufe der Erbauung, die dem Bau des Neuen vorangeht.

Das Aufgeben des Bemühens um Schönheit wäre Selbstaufgabe; ihre Vernachlässigung fördert die seelische Tristesse; ihre Minderung, ja Verspottung, verstärkt innere Verwahrlosung.

Bemühen um Schönheit meint, wieder schauen und wahrnehmen lernen, als hätten wir noch nie Sonne, Wolken und Bäume gesehen; als wäre uns noch nie eine Rose begegnet oder ein anmutiger Mensch oder der Klang einer Sinfonie.
Bemühen um Schönheit meint, in der Gestaltung äußerer Form und in der alltäglichen Lebensführung einen Ausdruck für die großen und kleinen inneren Werte zu finden. Dann können die dem Außen zugewandten Sinne wieder stärkend auf das Innere zurückwirken. Es wäre zugleich ein Akt ästhetischer Wiederaneignung der durch Technikzuwendung verödeten Innenwelten, eine schrittweise Überwindung voranschreitender Selbstentfremdung.

Schönheit ist immer da. Wie ein seidenes Gewand umhüllt sie die Liebe. An sich unerschöpflich, vermag sie die Sehnsucht zu stillen. Es scheint immer nur eine Frage zu sein, mit welchen Augen wir sehen und wie weit wir bereit sind, den Resonanzraum der Seele offen und berührbar zu halten.

Es reicht nicht, Schönheit bloß als eine Wesenhaftigkeit zu betrachten, mit der das Leben etwas in Farbe getaucht wird. Schönheit ist die Aufforderung des Lebens an sich selbst. Ein ursprünglicher Auftrag, der immer wieder auf neue Weise in das Gegenwärtige getragen werden will. Die Natur hat dabei die ihr mitgegebene eigene Schönheit, die es zu respektieren und zu lassen gilt. Der Mensch fügt Kultur und Kulturlandschaft hinzu als Ausdruck von Suche nach Zusammenschau und Harmonie. Beides sollte dabei auch aus ihm selber sprechen, damit er seiner Potentialität in ästhetischer Weise gerecht wird.

Es sei nur nebenbei bemerkt, dass Schönheit, Harmonie und Ästhetik Eckpfeiler und identitätsstiftendes Fundament eines gesunden Gemeinwesens sind.

Das Sein mit Schönheit durchtränkt,
lässt die Seele erblühen.
Frei wie ein Vogel durchfliegt sie die Himmel.

Dunkles erhält einen silbernen Glanz.
Beton blickt überrascht auf den Löwenzahn.
Freudiges Staunen lenkt den Blick des Wanderers.

Schönheit lädt ein, schön zu sein
und den Innenraum mit Harmonie zu füllen,
die wie ein Klang jeden Atemzug trägt.

Nun spürt sich zur Gewissheit,
was ein alter Sufimeister sprach:

„Gott ist schön und liebt die Schönheit.“

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