„Gott“ lieben?

ClausAllgemein

Es steht geschrieben:
„Darum sollst du den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Verstand.“ (Deuteronomium 6:5; Matthäus 22:35-38)

Was soll der Mensch da eigentlich lieben?
Und welche Art von Liebe wäre angemessen, bezogen auf das Unvorstellbare?

Vorstellbares kann ich lieben und/oder mir Begegnendes. Und durch das Vorstellbare oder mir Begegnende hindurch das Dahinterliegende, den Ursprung. Das Gegenständliche berührt dann sowohl als Erscheinungsform des Geheimnisvollen; es trägt seinen Wert aber auch in sich, in seinem schlichen So-Sein. Siddharta spricht in dem gleichnamigen Buch von Hermann Hesse zu seinem Freund Govinda:
„Dieser Stein ist Stein, er ist auch Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals dies oder jenes werden könnte, sondern weil er alles längst und immer ist – und gerade dies, dass er Stein ist, dass er mir jetzt und heute als Stein erscheint, gerade darum liebe ich ihn, und sehe Wert und Sinn in jeder von seinen Adern und Höhlungen, in dem Gelb, in dem Grau, in der Härte, im Klang, den er von sich gibt, wenn ich ihn beklopfe, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit seiner Oberfläche.“

In der Liebe zur Erde, zu der Tier- und Pflanzenwelt liebt ein Mensch den Ursprung mit, ohne in eine Gottesvorstellung gehen zu müssen oder krampfhaft an irgendwelchen Bildern oder Theologien zu hängen. In der Liebe zu einem Wesen, zu einem Menschen kann er das Durchstrahlende erkennen und „mitlieben“. Es wäre ja nicht ohne den Quell des Lebens. Doch dieses Erkennen und Mitlieben des Absoluten in einem Gewordenen drückt noch nicht alles aus. Das „Gott“ genannte Geheimnisvolle legt, wenn ich mich darauf ausrichte, Ehrfurcht in mir frei; aus dieser folgen Demut, ja die Haltung der Hingabe in einer vertrauenden Klarheit. Auch das gehört zur Umschreibung von Liebe. Etwas Wesentliches tritt schließlich noch hinzu. Es ist diese unstillbar im Menschen sich rührende Sehnsucht nach der Quelle des Seins, nach der Erfahrung des Einsseins, nach ultimativer Geborgenheit und ortsfreier Beheimatung; dieser so unermessliche Drang, der sich in Äußerem immer nur kurzfristig befriedigen lässt. In dieser Sehnsucht zu leben – das meint wahrhaft zu lieben. Solche Liebe schließt nichts aus, sie umfasst alles, Nächstenliebe und Fernstenliebe und die eigene Wesenhaftigkeit eingeschlossen. Vor allem aber entsteht sie aus sich selbst. Dahinter drängt kein Sollen. Noch nie wurde aus „Du sollst…“ Liebe geboren.

Das Ursprungs- oder Gottesliebe Genannte; die Liebe zu den Kindern und die der Kinder zu den Eltern; die Liebe, die einfach da ist, einfach so – sie dient keiner Nützlichkeit, erniedrigt sich nicht zu einem „um zu“ oder einer „Du sollst!“- Gefolgschaft. Sie ist, weil sie ist, und nichts Wahres wäre ohne sie. Manchmal braucht sie lediglich ihre Zeiten und Orte…

Inmitten der Nacht. Ich betrete eine Lichtung. Um mich herum dichter, dunkler Wald. Die Augen zum Himmel gerichtet. Der Blick verliert sich ehrfurchtsuchtsvoll in der grenzenlosen Weite der Sternenwelten. Das Gefühl, das in mir aufsteigt – es mag Liebe sein.

Ich sitze an einer Steilküste Westirlands in hohem Gras. Sehnsucht zieht die Sinne auf das weite Meer. Wind berührt die Haut, dumpf der Klang der Wellen, die in der Tiefe an die Felsen schlagen. Salz liegt auf den Lippen. Ein Möwenschrei spricht von Zeitlosigkeit. Die Empfindung, die mich durchströmt – es mag Liebe sein.

Auf einer Parkbank ruhend, beobachte ich ein Kind, das selbstvergessen auf der Wiese spielt. Staunend und gebannt blickt es auf den Marienkäfer, der über seine Hand stolziert. Was meine Seele zum Schwingen bringt – es mag Liebe sein.

Am Sterbebett der Mutter ist die Zeitspanne kurz, die noch verbleibt. Das Bewusstsein schon weit verflogen, in Berührung mit der Schwelle zu den Engelwelten hin. Da zieht sie noch einmal meine Hand zu sich hin. Alles ist Liebe in diesem Moment.

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