Du bist dir selber anvertraut

ClausAllgemein

Sie war einer jener Menschen, denen man mit Respekt, ja tiefer Bewunderung begegnet. Etty Hillesum, niederländische Jüdin, geboren 1914, ermordet 1943 in Auschwitz. Eine ins Leben verliebte Mystikerin. In ihrem Tagebuch (1941 – 1943), „Das denkende Herz“ notiert sie:

„Ich bin mir selber anvertraut und muß mit mir selber ins reine kommen. Der einzige Maßstab, den du hast, bist du selbst … Und die einzige Verantwortung, die du in deinem Leben übernehmen kannst, ist die Verantwortung für dich selbst. Aber das musst du dann auch voll und ganz tun.“ (S. 64)

Sich selber anvertraut sein. Das vermag ein Leben auszufüllen, wenn man die Reichweite dieser Aufgabe begriffen hat.
In jedem seinsbewussten Menschen spiegelt sich des Lebens Fülle in unzähligen Facetten. Es ist getränkt im Reichtum einer ins Unendliche zerfließenden Farbpalette; erfüllt von kosmischer Resonanz; gehalten in der Sehnsucht nach dem Grund der Gründe.
Das will erspürt sein, erkannt als das, was sich in mir ausdrücken will bzw. was durch mich in Geistraum und Materie tritt.

Sich anvertraut sein.
Fortwährend neu sich finden.
In den Oktaven der gegebenen Existenz Lebenswillen und Lebensenergie verstehen.
In dem mir zugewiesenen Raum die Berufung wahrnehmen, in der ich auf meine Weise stehe und meine Potentiale entfalten kann.
Sich aus übergeordneter Perspektive anschauen, nachsichtig und fordernd zugleich.
Unterwegs geschlagene Wunden verbinden und heilen lassen.
Narben der Seele pflegen.
Dann können sich immer wieder Freude, verschmolzen mit Zuversicht, wie Engelsflügel behütend über alles legen.

Auf dem Weg zur Selbstannahme, die dem Anvertrautsein folgt, begegnen wir einer Vielfalt an Gestalten, die in uns leben. Sie spielen ihre eigenen Rollen und fordern Austausch ein; als verständnisvolle Gespräche mit sich selbst und Klärungen, die Voraussetzung für den Prozess einer inneren Versöhnung sind.

So kann ein Mensch Verantwortung für sich übernehmen. Mit Leib, Herz und Seele mag er nun begreifen, dass er damit zugleich ein Ausdruck der Verantwortung für das Ganze geworden ist. Die Eigenverantwortung wandelt sich zum Nährboden und Maßstab auch anderem Leben gegenüber. Ruhend in sich selbst, wissend, dass dieses weit über sich hinausweist, kann jetzt der göttliche Ruf, den Nächsten anzunehmen wie sich selbst, erfüllt werden.
Man mag das jenen Frieden nennen, der, in sich errungen und gefunden, Voraussetzung für jeglichen weitergehenden, ja den großen „himmlischen“ Frieden ist.

Erweist das Leben sich auch als schwer – manchmal mehr, manchmal weniger. Der Schlüssel dafür, trotzdem darin Erfüllung zu finden, liegt nirgends, außer in mir. Ihn zu erkennen, setzt allerdings voraus, dass die Empfindung lebt, kein auf sich selbst zurückgeworfenes Ich zu sein, sondern Teil und lebendiger Ausdruck des Ganzen, Teil und Ausdruck eines überzeitlichen Willens.

Diese Seinshaltung vermag jeglichen Moment zu adeln, immer „schon jetzt“ und ohne Vertröstung auf das „noch nicht“.
So auch bereitet sich die neue Zeit vor, inmitten des Alten.
So sind wir jederzeit innerlich vorbereitet auf das Kommende, ohne in Angst vor etwas zu erstarren, das wir noch gar nicht gesehen haben.

Gleichwohl ist solches nicht selbstverständlich und fordert gerade deshalb Lob und Dank ein. Der Zweifel kann warten. Er löst sich im Unterwegssein auf, noch bevor er Worte für sich gefunden hat.

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