Tod eines Universums

ClausAllgemein

Mancher Menschen Lebensende schmerzt unsere Seele.
Ein anderes berührt uns kaum. Solche, die an den Rändern dieser Erde und unserer Wahrnehmung das Leben verlassen, sehen wir nur als Zahlen in Kriegen, Nöten und Katastrophen. Der Tod von wiederum Anderen will uns schier das Herz zerreißen, so unterwegs waren wir mit ihnen, so wesenhaft als Du und Ich miteinander verwoben.

Den Tod, ob nah oder fern, nehmen wir hin. Wie sollte es auch anders sein. Er gehört zum Lauf der Dinge. Ohne ihn kein neues Werden, kein Raum sich auszubreiten und für Entwicklung. Die Endlichkeit der Wesen ist der Zeitlosigkeit des Kosmos beigegeben.

Doch mit jedem Menschen, wer und wo er auch sei, verweht ein ganzes Universum. Es sterben Einzigkeit und unwiederbringbarer Reichtum.
Aus der zeitlebens ewigen Gegenwart gerissen zu werden, bedeutet das Ende von Gedankengalaxien, wie keiner sonst sie je entwarf; von Lebensbildern, die niemand bisher und niemand zukünftig in das Bewusstsein malt. Traumpfade, auf denen Spuren zu erkennen sind, lösen sich mit dem letzten Herzschlag auf. Blickweisen auf die Welt, deren Zeichenmuster mit einem unbekannten Code versehen sind, erblinden.

Jedes Gefühl eines gehenden Menschen ein Unikat.
Jeder Schmerz, ähnlich zwar, doch so noch nie durchlitten.
Jede Freude, auf diese Weise nie mehr getanzt.
Abgründe der Seele, voller Grauen, unwiederbringlich verloren.
Genau wie die sanfte Schönheit, die nach Liebe sich streckt.
Der kleine Gottesfunke, tief ins Herz gelegt, der das Feuer der Sehnsucht nach dem Urgrund entfachte – nun verloschen.

Ein Archiv löst sich auf, des personalen Bezugs zu Kultur, Gesellschaft und Geschichte. So, genau so, ist es in keinem Buch zu lesen, in keinem Lied zu hören, in keiner Erinnerung mehr präsent.

Im Tode wird nicht nur ein Körper kalt, nicht nur Lebendigkeit entschwindet. Ein Wunder verglüht wie ein fallender Stern.
Egal, ob gut oder böse, umtriebig oder scheu, schön oder entstellt.
Ein Universum kehrt zu der Leere seines Ausgangspunkts zurück. Nun selber Leere hinterlassend.

Fragen bleiben:
Habe ich den Reichtum in dir gesehen, Bruder, als wir noch zusammen auf dem Planeten wandelten?
Hab ich dich angemessen verstanden, Schwester, als wir miteinander des Weges gingen?
Bin ich dir gerecht geworden, Fremder, den ich nur vom Erzählen her kannte?
Hast du einen Platz in meiner Wahrnehmung gefunden, Unbekannte, die irgendwo mit anderen Unbekannten einem Unheil zum Opfer fiel?
Waren wir Verbundenen geduldig miteinander und liebevoll?
Haben wir Hoffnung gestreut, den Schmerz gelindert und die Traurigkeit umarmt?

Er ist final, der Gevatter Tod.
Doch vergessen wir nicht, welche Universen sich nach ihm öffnen. Auch wenn niemand bislang von Ihnen berichten konnte. Zu tief ist der Bruch zwischen den Seinsweisen, und die Überbrückung führt nur in eine Richtung.
Wir wissen gar noch nicht einmal, ob es eine Seinsweise jenseits der Grenze des Erlöschens gibt.
Kein Wissen also!
Vielleicht aber Gewissheit und Vertrauen.
Denn unsere Sehnsucht nach einem Leben über den Tod hinaus wäre nicht ohne die Resonanz mit eben jenem Lebensraum.
Einem „Leben“, das in völlig neue Universen führen mag.
Die vermutlich nicht verlöschen!

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