Als die siebte der sogenannten Todsünden wird die Acedia bezeichnet – was übersetzt Trägheit meint. Es geht dabei weniger um körperliche Aspekte als vielmehr einen geistigen Zustand, eine Haltung dem Leben gegenüber. Befallene Menschen lassen sich eher treiben, als in einer Sinn stiftenden Orientierung beheimatet zu sein. Fremdbestimmt erkennen sie ihre eigene Größe und Potentialität nicht, wollen nicht sie selber sein.
Nun sollte man diese Haltung, in die man eher hineinrutscht als sie bewusst anzustreben, nicht unbedingt mit Schlendrian oder Müßiggang verwechseln. Oft maskiert sich die Acedia gar als umtriebige Geschäftigkeit, die manchmal an besinnungsloses Tun grenzt. Die gegenwärtige Ausprägung medialer Zuwendung gehört ohne Zweifel dazu.
Wenn der Großteil an Aufmerksamkeitsenergie von Geräten und von den Triggern, die sie inhaltlich transportieren, aufgesaugt wird, desto mehr bleiben Geist und Seele zurück. Sie verblassen im Gleichklang mit zunehmender Abhängigkeit der Sinne und einprogrammierten Erwartungshaltungen. Hauptsache ein neuer Informationsmarker blinkt auf, sei es auch altbekannter Informationsschrott in lediglich verändertem Anstrich.
KI-Anwendungen, die gleichsam in jedem Internet-Aufruf hintergründig eingebaut sind und gewiss oft grandiose Ergebnisse in anspruchsvoller sprach- oder bildlicher Verpackung generieren und präsentieren, bringen ein Folgeproblem mit sich: Intrinsische Lern- und Recherchemotivation wird durch die zeitliche und räumliche Allverfügbarkeit geschwächt. Was soll ich auch suchen, wenn es doch bereits gefunden vor mir liegt…
Gleichzeitig entstehen neue Eindeutigkeiten, so differenziert sie auch daherkommen mögen. Dabei entfallen die unscharfen Zwischentöne und darauf bezogen notwendige Prozesse des Ringens und Klärens. Wer baut im Schlaraffenland noch Kartoffeln und Gemüse an oder kümmert sich zumindest um ihre Besorgung und eine ansprechende, gesunde Zubereitung? Auf der Ebene von Lernen, Wissen und Bewusstsein ist dies das Einfallstor eines wohlverpackten Totalitarismus, der als solcher unerkannt bleibt und dankbar angenommen wird.
Ideologiegehalte, die mit dem Aufpuschen peripherer Belanglosigkeiten in oft drastischer Schärfe und Gnadenlosigkeit rasende Verbreitung finden, vergiften den kulturellen Zusammenhalt. Jede Aufmerksamkeit herbeischreiende Nebensächlichkeit raubt zudem Zuwendungsenergie, was die zahlreichen ernsthaften und existentiellen Probleme der Gegenwart betrifft. Von der narzisstisch anmutenden permanenten Selbstrepräsentation und Selbstmanipulation in den sogenannten sozialen Medien einmal ganz zu schweigen.
Die neue Unkultur der Unbarmherzigkeit besteht in der Wechselbeziehung von blinder Parteinahme und kampagnenmäßiger Ausgrenzung. Beide hängen mit einem vordergründigen und unreflektiertem Selbstverständnis zusammen, in dem Widersprüche keinen Platz haben. Sich selbst ein blinder Fleck zu sein, fällt aus der Wahrnehmung.
So erleben wir einen Zerfall des Kulturellen. Bereits geschwächter personaler Geist und erodierende transpersonale geistige Felder verlieren weitere Widerstandskraft gegenüber der sie schwächenden Energie. Im gleichen Atemzug weicht jene Visionskraft zurück, die nur aus den Tiefenschichten des Seins aufsteigen kann. Das, was Kultur in einem anspruchsvollen und breiten Sinne trägt, weicht aus in Nischen, ohne dass es wirklich bemerkt oder gar zu einem Aufschrei führen würde. Den Leerplatz besetzen Fragmente aus sporadischen Wahrnehmungen, die als akustischer und visueller Dauerbeschuss ins (Unter)Bewusstsein dringen.
Nun ist es sicherlich nicht so, dass wir überhaupt in der Lage wären uns ein ganzheitliches Bild von Welt, Um- und Mitwelt zu machen. Aber durchdachte, kontextuell begründete und in einem angemessenen Maß konsumierte Botschaften lassen zumindest eher den Raum für eigene Anschlussgedanken und eine kognitive sowie kommunikative Einbettung in das, was wir Alltag nennen.
Ansonsten gilt auch hier: Letztverantwortlich für das, was auf der Wahrnehmungs- und Bewusstseinsebene mit uns geschieht, sind wir selber; unter Beteiligung jener, die in unseren frühen Kindheitsjahren fürsorgliche Mitverantwortung für uns tragen sollten. Grundsätzlich ist kein Mensch der Bewusstseinsmaschinerie ausgeliefert. Und so ist gerade das der Ausdruck von Acedia, von der Trägheit des Geistes, wenn Menschen immer wieder versuchen, sich mit den sogenannten Verhältnissen rauszureden und sich als deren Opfer zu stilisieren.
Es ist alles da und unmittelbar zuhanden!
Jederzeit können wir den Blick schärfen für das Authentische, das Wahrhaftige, das Schöne und das Gute.
Jederzeit können wir unsere Herzenergien ausrichten auf das Leben, das uns umgibt.
Jederzeit öffnet sich die Natur vor uns wie ein begehbares Paradies.
Und jederzeit liegt es alleine an uns, dass wir der Stille Raum geben und uns von ihr umfangen und verzaubern lassen.
Sich vom jederzeit an sich Möglichen in die Verwirklichung zu bewegen – das meint Selbstermächtigung. Ihr ist keine Acedia gewachsen.
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