…mit Weihnacht und dem Weihnachtsgeschehen?
Meint „Heilige Zeit“, wie in meinem Blog der letzten Woche angesprochen, dass das Heilige seine, die rechte Zeit braucht? Dass dann aber so lange wieder Normalität herrscht, bis das nächste Fest sich ankündigt, mit den nächsten Ritualen?
Das Heilige steht in steter Resonanz mit der Energie, die wir „himmlisch“ nennen. Das macht es ungetrennt, ganz, heil, heilig. Besondere Tage und Zeiten, die Hochfeste in den Religionen, wollen an diese Energie erinnern; und so werden in ihnen Geschichten, Gleichnisse erzählt: von der außergewöhnlichen Geburt, dem hingebungsvollen Leben und Leiden, der gnadenhaften Auferstehung, der Himmelfahrt und der Verschmelzung des göttlichen mit dem irdischen Geist. Diese Erzählungen geben in jeweils unterschiedlichem Rahmen Kunde von der Präsenz des „Himmlischen“ im Irdischen, des Heiligen inmitten des Profanen; und sie wollen dadurch in dir den Sehnsuchtsfunken für eine Zeitspanne neu entfachen.
Die Weihnachtszeit, wie andere Hochfeste auch, erleichtert es uns, von dem Heiligen, dem Göttlichen, dem Geheimnisvollen zu sprechen, ohne dass wir uns übermäßig begründen müssten. Und dies gilt selbst noch in einer so von sich selbst und seiner eigenen Tiefe entfremdeten Menschheitsepoche wie der unseren. Da erkennen wir, selbst im Lärm der klingenden Kassen, selbst inmitten der mit Lichterketten umrankten Weihnachtsschlitten in den Vorgärten und selbst inmitten der getriebenen Menschen, gelegentlich noch einen letzten Respekt, eine letzte Vorsicht und Demut. Ansonsten fühlt sich im alltäglichen Leben das Sprechen über das Heilige doch eher schwer an. Du ringst um Worte, umschreibst, was eigentlich nicht umschrieben, sondern gespürt werden will. Letztlich nimmst du dich hinter der kalten und zugleich alles überragenden Macht des Materialismus mehr und mehr zurück. Selbst in manchen spirituellen Traditionen reift zum Dogma, dass da kein „Du“ sei. Es zählt dann nur die Einübung in die Stille des Nichts; die gelebte Sehnsucht nach dem Absoluten – sie gilt als ein Weg der Illusionen, dem es an Nüchternheit mangelt.
Nüchternheit…. Novalis (1772 – 1801) schrieb dazu einen treffenden Satz:
Hätten die Nüchternen nur einmal gekostet,
alles verließen sie
und setzten sich zu uns an den Tisch der Sehnsucht,
der nie leer wird.
Dem Heiligen nachspüren, der Ehrfurcht Raum geben, sich von dem Schauer des Geheimnisvollen berühren lassen – das ist existentielles Suchen und Finden zugleich. Genau darin liegt unser tieferer Menschheitsauftrag. Hätten wir dies: die Berührbarkeit letztlich durch Alles, was lebt; das Erkennen, dass der göttliche Bereich nicht „jenseits“, sondern inmitten ist, inmitten vor allem von uns selbst; lebte in uns die sehnsuchtsvolle Liebe zur Einheit der sichtbaren und der unsichtbaren Welt…
dann hätten wir zugleich den Zugang wiedergefunden zum rechten Maß in allen Dingen.
Sich sehnen, heißt suchen. Suchen will finden. Suchen ist finden! Denn in der Suchbewegung allein schon stehst du in Resonanz mit dem Ersehnten. Deine Sehnsucht nach dem Absoluten, es gäbe sie nicht, wäre da nicht – wie im Bild des Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle – die ausgestreckte Hand des Göttlichen zu dir hin. In diesem gegenseitigen Willen zur Begegnung und Vereinigung ruht das Geheimnis zwischen Gott und Mensch. Als Anspruch und Gnade zugleich ist es ein Versprechen über Weihnacht weit hinaus.
***
Rebbe Baruchs Enkel Jechiel kommt in Tränen aufgelöst in die Lehrstube des Meisters gerannt.
„Aber Jechiel, warum weinst du?“
„Mein Freund ist gemein! Er ist unfair! Er hat mich ganz allein gelassen, darum weine ich.“
„Willst du mir das nicht von Anfang an erzählen?“
„Ja, Großvater. Wir spielten Verstecken. Ich musste mich verstecken, und er war dran, mich zu suchen. Aber ich hatte mich so gut versteckt, dass er mich nicht finden konnte. Da hat er aufgegeben. Er hörte einfach auf, mich zu suchen, und das finde ich gemein!“
Da streichelt der alte Rabbi das Gesicht des Jungen, und ihm selber steigen Tränen in die Augen.
„So ist es auch mit Gott, Jechiel“, flüstert er leise. „Stell dir seinen Schmerz vor. Er ist ja nur verborgen, und die Menschen suchen ihn nicht. Verstehst du, Jechiel? Die Menschen suchen ihn nicht einmal…“
(nach Martin Buber)
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