Die dritte Tugend

ClausAllgemein

Vier Kardinaltugenden lehrt die scholastische Ethik nach Thomas von Aquin (1225-1274): Klugheit/Vernunft, Gerechtigkeit, Tapferkeit und das angemessene Maß. Tapferkeit kommt in diesem Vierklang die Aufgabe zu, das durch die Klugheit als gerecht und als gut Erkannte herzustellen bzw. zu bewahren. Das aber hat seinen Preis.
So gibt es den tiefen inneren Zusammenhang zwischen der Tapferkeit eines Menschen und der wesenhaft mit ihm verbundenen Verwundbarkeit. Nur weil diese grundsätzlich immer mit im Spiel ist, können wir uns überhaupt in eine Handlungsweise begeben, die wir als tapfer bezeichnen.

Im Letzten reicht Tapferkeit bis zum Tod. Sie schließt also die Bereitschaft ein, für das Gute und Gerechte das Leben zu riskieren bzw. das Äußerste in Kauf zu nehmen, übrigens durchaus nicht ohne Furcht. Gerade das rechte Handeln, trotz berechtigter Furcht vor den Folgen, zeichnet Tapferkeit aus. Selbstredend setzt dies voraus, überhaupt einen Sinn für das Gerechte und ein entsprechendes Erkennen zu entwickeln. Und dieser Sinn ist es auch, der für das Tapfersein das Maß zwischen Tollkühnheit und Feigheit setzt.
Die eigene Verwundbarkeit im Bewusstsein zu haben und sie anzunehmen, begründet sich also aus dem höheren Rang des Guten, des Gerechten und dem Leben Dienenden. In der Bereitschaft dazu bleiben wir unserem humanen Selbst und unserer menschlichen Potentialität treu und halten bzw. gewinnen eine tiefere, seelische Unversehrtheit. Das Gewissen dient dafür als Maßstab.

Eine wesentliche Facette der Tapferkeit scheint mir weniger der Angriff oder auch das zu sein, was wir in Anlehnung an Thomas den gerechten Zorn nennen. Vielmehr geht es zunächst um Standhalten, wobei darunter alles andere zu verstehen ist als Passivität. Standhaftigkeit will als ein außerordentlicher Vernunfts- und Willensakt gesehen werden, der sich nicht spießiger Bequemlichkeit und Wegschauhaltung oder einem billigen Sich Abfinden beugt. Mit ihrer Zwillingsschwester, der Geduld, fällt sie niemals hinter das einmal als richtig Erkannte und Empfundene zurück, und sie verwahrt sich dagegen, es auf dem Altar des Opportunismus zu opfern. So verbinden sich beide, wie Hildegard von Bingen (1098-1179) schreibt, zur „Säule, die durch nichts erweicht wird“. Standhalten in diesem Sinne meint: Haltung zeigen und Haltung bewahren, gerade in der Krise.

Wer standhaft ist, der hält auch aus. Für etwas einzustehen, ist nicht zu trennen vom Aushalten. In ihm lernen wir, Ungewohntes, Neues, vielleicht auch Unangenehmes und Bedrohliches zunächst hinzunehmen, gerade wenn die gewohnten Koordinaten des Alltags vor dem inneren Erfahrungs- und Erinnerungsauge verschwimmen. Aushalten, auch wenn ich das, was es auszuhalten gilt, nicht akzeptiere; Aushalten, auch wenn es mit Nachteilen und Rückschlägen in meinen Bemühungen verbunden ist. Das bildet gleichsam das Fundament der Standhaftigkeit und in der Folge auch einer weitergehenden Tapferkeit, die sich in Widerspruch und Widerstand begibt. Alles andere würde den Menschen dezentrieren, ihn in ständiger Unruhe halten, ihm unnötig Energie rauben und den klaren Blick für die notwendigen Anschlusshandlungen trüben. Nicht nur das rechte Wort, auch der angemessene Widerstand, das rechte Widerstehen, kommen aus der Besinnung.

Es ist Tapferkeit, die in die Mauer unbarmherziger und uneinsichtiger Ich-Bezogenheit eine Bresche schlägt. Sie überwindet ein vordergründiges Sicherheitsverständnis um eines Schöneren willen – der Gewissheit überzeitlicher Richtigkeit und Angemessenheit – im Wahrnehmen, Denken und Handeln. Sie bewegt so auch Innenwelt und das nach Außen Gerichtete in eine Harmonie – und das gerade, weil sie mit der Bereitschaft eins ist, Konflikten und Gefahren zu begegnen, ohne immer nur die eigene Unversehrtheit im Fokus zu haben.

Es kann weder eine lebensdienliche Gesellschaft, noch eine demokratische Kultur ohne dieses Verständnis und das Bewusstsein von Tapferkeit geben. Zivilcourage wäre ohne sie schlichtweg nicht existent. Und wir bewegen uns in Zeiten hinein, in denen durch Tapferkeit getragene weltweite Zivilcourage nötiger werden wird denn je. Die sich gegenwärtig unter dem Vorwand des Guten – in manchen Staaten mehr, in anderen weniger – langsam einschleichende und zunehmend technologisch unterstützte und hochgerüstete staatliche Bevormundung, verführt beizeiten dazu, auf Dauer angelegt zu sein. Für diese Dystopie von Bevormundung, Entmündigung und Kontrolle dient der Virus lediglich als Brandbeschleuniger.

„Die Tugend der Tapferkeit bewahrt den Menschen davor,
sein Leben auf solche Weise zu lieben,
daß er es verliert.“
(Josef Pieper, im Jahr 1934)


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