Was schön… Eine Anmerkung zur Spracheffizienz

ClausAllgemein

Es ist erst wenige Wochen her, als meine Frau und ich meine Familie in Hessen besuchten.
„Ihr könnt euch Mirabellen mitnehmen, der Baum ist voll“, sagte meine Schwester.
Ich legte das gepflückte Obst in einen Kunststoffeimer und füllte dann in Tüten das für uns ab, was man für einige Portionen morgendliches Müsli und ein paar Gläser Marmelade gebrauchen kann. Es war noch reichlich übrig, und so überlegte ich, meinem Neffen und seiner Familie etwas vorbeizubringen. Ich packte die dunkelgelben Früchte in ein kleines Weidekörbchen, das zweckfrei im Vorratsraum herumlag.
„Ich fahre kurz zu den Kindern, bringe ihnen auch etwas. Habe mich im Keller für den Transport bedient.“
Meine Schwester und meine Frau saßen in der Küche und unterhielten sich.
„Zeig doch mal“.
Man hatte mir wohl eher eine Plastiktüte zugetraut, weshalb es glaubhaft klang, als meine Frau erfreut ausrief:
„Was schön!“

Auf dem Weg spürte ich meiner Irritation nach, denn das war zwar in münsterländischer Kargheit trefflich formuliert, aber bei weitem kein vollständiger Satz im Sinne der deutschen Rechtschreibregeln.
Was schön…
Grammatikalisch ein Kapitalverbrechen, lag hier trotzdem ein Beispiel für höchste Spracheffizienz vor, die jedem Informationserfordernis des Artikulierten hinreichend gerecht wird. Wenn sie gesagt hätte: „Ach, wie ist das aber schön…“  – eigentlich unnützes Gerede. Das ach, das ist, das das, das aber sowieso – sinnlose Worte, um eine Empfindung so auszudrücken, dass sie auch meiner Zeitknappheit gerecht wird.
„Vielleicht reden wir einfach zu viel“, dachte ich mir. Und es heißt doch in der Bibel: „Von jedem unnützen Wort, das die Menschen reden werden, werden sie Rechenschaft geben am Tag des Gerichts.“ (Matthäus 12,36).

Meinen Neffen und mich verbindet die Leidenschaft für Borussia Dortmund. Wir haben früher manches Spiel zusammen gesehen. Was wäre da im Stadion alles sprachlich und tonästhetisch zu optimieren, dachte ich mir, etwa das „Ohhhh, wie ist das schööön, ohhhh, wie ist das schööön, sowas hat man lange nicht gesehn, so schöön, so schöööööön“ aus zigtausend gesangunfähigen Kehlen. Gnadenlos redundante, zur Sentimentalität verführende Wortaneinanderreihungen sind das, verstörend fortführend von der Essenz, verglichen mit einem „WAS SCHÖN!!!“  
Und dabei ist man ja bereits im Fußball auf einem guten Wege. Mehr und mehr weicht etwa das inbrünstig gesungene „Booorussiiaaaa“ dem kurz hinausgestoßenen „Brussia“, so wie man spätestens seit der WM 2006 das „Schland“ kennt, statt „Deuuutschlaaand“. Während mir das alles durch den Kopf ging, dachte ich, der Aktualität geschuldet, auch an die drastisch verringerte Zahl an Corona-Aerosolen im Stadionrund und in den Fankneipen, wenn Schreisprache auf das Notwendigste reduziert wird.

Ich war angekommen. Mein Neffe stand mit seinem Schwiegervater vor dem Haus.
„Claus, ich wusste gar nicht, dass Du hier bist. Das ist ja schön. Komm doch rein. Wir freuen uns. Die Kinder sind auch da.“
„Wollte nur etwas Obst vorbeibringen.“
„Du hast die selber gepflückt? Das ist ja nett.“
Solchermaßen viele Worte verführen zur entsprechenden weitschweifenden Antwort:
„Es sind ja so viele Mirabellen da dieses Jahr. Und in der Qualität kannst du die nicht kaufen. Außerdem wollte ich euch trotz Corona kurz wiedersehen. Muss aber eigentlich auch direkt wieder gehen. Ihr wollt ja auch gleich essen, wie ich sehe.“
Auf dem Rückweg lief vor meinem inneren Auge der Kurzfilm zu dieser Szene ab, der eigentlich auch alle notwendigen Informationen enthielte.

„Claus! – Und Mirabellen!!  – Was schön!!!…“
„So gerne! – Ciao…“


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