Das Wechselspiel von Innen und Außen

ClausAllgemein

„Nur jene können wahrhaft diese Welt genießen, die mit der unsichtbaren beginnen…Nur diejenigen Menschen können die Welt gebrauchen, die gelernt haben, sie nicht zu mißbrauchen.“ 
(John Henry Newman, 1801 – 1890)

Der britische Theologe spricht die Polarität in unserer Existenz an. Sie zeigt sich in Sichtbar und Unsichtbar, Gut und Böse, Hell und Dunkel, Liebe und Hass, Haben und Lassen, vor allem aber Innen und Außen. Deren wechselseitige Bezogenheit zu verkennen, mindert das Leben. Es raubt den Reichtum, lässt die Schönheit verblassen, nimmt die Tiefe. Seine Farbe ist grau.

Das universale Grundgesetz der Resonanz als Seinsprinzip lehrt uns nicht nur nüchtern die Interdependenz. Es weist darauf hin, dass Leben in Blüte, bunt und beseelt, nur dann die bewusste Wahrnehmung erreicht, wenn das Bewusstsein sich offen und resonanzfähig hält. Die Bewusstseins- und Empfindungspflege bereitet den Boden für Spüren und Erkennen im Außen. Je reichhaltiger das innere Universum, desto breiter die Wahrnehmungsfelder für das Außen – oder besser: für das sogenannte Außen. Denn letztlich ist die Unterscheidung nur eine der menschlichen Ich-Abgrenzung, einer entsprechenden Wahrnehmung und eines darauf bezogenen sinnlichen Zugangs zur Welt; ein Spiegel der gegenwärtigen Evolutionsstufe. Wirklich verstanden werden kann Welt an sich nur als Holon, also als ein insgesamt Zusammenhängendes. Dessen verbundene Teile wiederum sind nur mit Einbeziehung ihrer Kontexte zugänglich. So steht das Leben für unser Bewusstsein in ständiger Bewegung zwischen „Innen“ und „Außen“, stellt die wahrgenommene Bewegung Einheit im Erkennen her. Allerdings gelingt ihr dies eben nicht, wenn die Fokussierung bei einer der beiden Ebenen, Innen oder Außen, verbleibt und sich nicht selber im Fluss mitbewegt.

„Meine Welt“ – oder besser: Die Welt, die sich mir erschließt, findet Gestalt und Bild also in der Wechselbeziehung von Innen und Außen. Dabei gilt es die jeweiligen Einflussnahmen angemessen zu verstehen. Vernachlässigen wir die Innenarbeit, so wirken äußere Ereignisse und unsere eigenen äußeren Aktivitäten um so stärker auf Empfindungen und Gefühle zurück. Sie verbinden diese mit Attributen wie angenehm oder unangenehm, schwer oder leicht, was ja letztlich nur Hinweis auf ein fehlendes Gleichgewicht, eine fehlende Balance ist. Bin ich demgegenüber ganz in mein Inneres eingegraben, gleichsam zum Innenseiter geworden, wird mir das Außen auf Dauer als etwas Fremdes, zumindest aber nicht als ein Teil meines „Feldes“ begegnen.

Selbstredend folgen die äußeren Repräsentationen – seien es die Natur, das gesellschaftliche und soziale Umfeld oder auch die medialen und digitalen Universen – ihren eigenen wesenhaften Gesetzmäßigkeiten. Diese entziehen sich zu einem großen Teil meinem Willen und einem ggf. aus mir sprechenden Veränderungsbedürfnis. Doch wo eine nachhaltige Interventionsmöglichkeit nicht gegeben scheint, bleibt immer der Zugang zu meinen Einstellungen und zu der Wahrnehmungsbereitschaft, was das Äußere betrifft. Beides steht in meiner Verfügung. An Beidem kann ich arbeiten und es steuern.
Ablehnung kann der Mensch so in Akzeptanz verwandeln oder sich auch dem Abgelehnten entziehen. Positive Resonanz vermag ich zu verstärken und zu verfeinern. Beide „Strategien“ werden Folgen haben. Denn natürlich ziehe ich das eher an bzw. nehme es leichter und eher wahr, wofür mein Inneres bereitet ist, wofür ich schwingungsfähig bin. Damit mein Leben dann aber nicht zur bloßen Ähnlichkeitsverstärkung verkommt, gilt es, sich der Ausrichtung des Bewusstseins und der Gefühle bewusst zu werden. Wir nennen das Selbstreflexion. Wenn sie sich zu echter Zeugenschaft entwickelt, weist sie darauf hin, Routinen, auch des Denkens und Empfindens, immer wieder in Frage zu stellen und auch zu durchbrechen. Sie hilft dabei, Offenheit herzustellen, Wahrnehmung dort zu riskieren, wo es ein inneres Stopp-Schild zu geben scheint.

Dass die Welt ist, wie sie ist bzw. sie uns so scheint, hängt selbstredend mit unterschiedlichsten Gesetzmäßigkeiten auf unterschiedlichsten Ebenen zusammen. Es ist allerdings auch ein Resultat fehlender bzw. eingeschränkter Selbstreflexivität und damit einer begrenzten Offenheit gegenüber den Seinsprozessen. Wo Offenheit und in der Folge Wahrnehmungsvielfalt fehlen, verringern sich auch Einfluss- und Veränderungsmöglichkeiten. Banaleres kann man eigentlich nicht formulieren, und trotzdem krankt genau daran so unendlich viel.

Wie kann ich erwarten, dass im Äußeren Frieden herrscht, wenn ich die Dämonen im Innern nicht im Griff habe? Wie kann ich eine gesunde Um- und Mitwelt ersehnen, wenn meine Bedürfnisse auf den Verbrauch und Missbrauch von Erde zielen? An der Transformation solchen Widerspruchs hängen das innere Gleichgewicht und dessen Empfindung. Und beide zeichnen wiederum als Voraussetzung für eine heilende Zuwendung zu einer Welt, von der ich umgeben und deren Teil ich bin und die in der Folge wiederum in den Innenraum zurückstrahlt. 

Das Bewusstsein verbindet Innen und Außen. Es hält das Wechselspiel beider in Bewegung. Diese ist kein bloßes Hin und Her, sondern eine suchende Bewegung nach Balance. Stille, Fasten der Gedanken, Verschmelzen mit dem Sein durch Ausrichtung auf den Atem und den sich öffnenden Raum hinter dem Atem – das vermittelt und verbindet auf dem endlosen Weg des Pendels. Und es führt das Bewusstsein immer wieder zu sich selbst zurück.

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Das Foto: Kaminofenfeuer Anfang März