Kosmische Religion

ClausAllgemein

Dass sich das „Gott“ Genannte jedem Volk bzw. jeder Kultur auf eigene Weise mitteilt, verlauteten nicht nur die alten Propheten. Es zeigt sich auch in den Erfahrungen der menschlichen Geschichte, die sich in unterschiedlichsten Facetten dessen ausdrücken, was wir Religion nennen. Doch nichts ist als Letztendliches geschaffen. Alles fließt in der Ewigkeit des Wandels, selbst das, was in der menschlichen Vorstellungskraft als unvergängliche Form erscheint. In der Evolution des Kosmos, diesem faszinierenden Reigen unerschöpflicher Hervorbringungen, unterliegt selbst das Werdeprinzip, die Gottheit, dem Wandel. Jeder Künstler wird mit einem neuen Werk ein Anderer. Trotzdem sucht inmitten dieses Wandlungsgesetzes der Mensch unablässig nach Stabilität, Halt, Vertrautheit, in deren bewahrende Fürsorge er sich fallen lassen kann. Er will fixieren und verwechselt Halt mit Festhalten. Das führt zu Dogmen, Verhärtungen, Unerbittlichkeiten, blinden Flecken in Wunsch, Wahrnehmung und Vorstellungskraft. Schnell verkümmert so ein an sich grenzenloses Feld zu einem spirituellen Schrebergarten.

Dass aus nahezu allen religiös reklamierten Besonderheiten derselbe Grundimpuls strahlt und dieser in den Religionsstiftern einen leibhaftigen Ausdruck findet, weist bereits darauf hin, dass es um das Essentielle geht und nicht die Kultivierung von Besonderheiten. Seit je drückt sich dies in den mystischen Wegen aus. Sie zentrieren das Sein, führen den suchenden Menschen zu jener Ehrfurcht, die bei der Einsicht beginnt und dort auch endet, dass es keine letzte vom Menschen erkennbare Wahrheit gibt.

„Der Weg, der mitgeteilt werden kann,
ist nicht der ewige Weg.
Der Name, der genannt werden kann,
ist nicht der ewige Name.
Das Namenlose ist der Anfang von Himmel und Erde.“
(Tao Te King, 1)

So stehen wir vor der Grundherausforderung, die Sprache von den religiösen Begriffen zu befreien, die eine Sicherheit vorspiegeln, wo es keine geben kann. Selbst die heiligen Schriften können nicht in ihrer Gesamtheit als verbindliche Letztoffenbarungen gesehen werden. Manches hat lediglich historischen Charakter, anderes verdankt sich dem Zweckmäßigkeitsdenken der aufschreibenden und oder korrigierenden Menschen, nicht aber einem überzeitlichen göttlichen Impuls. Es geht nicht ohne die eigene innere Prüfung, die auch jede(r) nur für sich bestehen kann.

Wo die innere wächst, löst sich die Enge einer veräußerlichten Religion nach und nach auf. Es entsteht auf dem Fundament von Sehnsucht, Liebe und der Ehrfurcht vor dem Leben eine innere Ordnung, die der äußeren kaum noch bedarf. Heilig genannte Schriften dienen auf diesem Weg dem Anstoß, der Vertiefung und der Prüfung unserer Wahrnehmungen. Die persönlichen Herausforderungen in der „Gottesbeziehung“ können sie gleichwohl nicht ersetzen. Verschärft gilt dies für jede Form des Kultus, jedes Ritual, jeden Habitus. Denn Solches, den stützenden Charakter in Krisensituationen wohl mitbedacht, engt oft mehr ein, als es geistig befreit. Vor allem lässt sich dies immer dann beobachten, wenn der äußere Gestus als mehr erscheinen will, als ein Form gewordener Ehrfurchtsausdruck vor dem Absoluten.

Vor denjenigen Menschen und jener Menschheit, die sich im Einssein des Lebens beheimatet und geborgen wissen, denen Trennungsgedanken zwischen Himmel und Erde, Gottheit und Mensch, Transzendenz und Immanenz zunehmend fremder werden, liegt der Raum kosmischer Religion. Es ist ein geistiges Feld der Partnerschaft mit dem Unendlichen und Zeitlosen. Die ganzen äußeren und inneren Universen erscheinen dann als Theophanie, als Schauplatz der Ausdrucksweisen „göttlich“ genannter Ursprungs- und Werdeimpulse. In diesem Spiel sind wir gestaltend inbegriffen, nicht bloß unbeteiligt oder bloß hinnehmend.

Die alten Religionen führen Mensch und Menschheit in diesen Prozess. Sie setzen ihn auf den Weg, der vereinen und die persönlichen Zugänge integrieren und in ein transzendentes Licht stellen will. So oft hört man, wir müssten zurück zu den Wurzeln, um uns wieder zu finden. Aber dieses Zurück gibt es nicht, so wie niemals eines denkbar war. Auch die Wurzeln bleiben ja nicht, was sie einmal waren; auch sie verändern sich im Prozess des Werdens. Die Wurzelkraft als Ursprungskraft jedoch steht jederzeit zur Verfügung, für den schöpferischen Aufbruch hin zur integralen Synthese.

Spirituelle Unterschiede werden in einer kosmischen Religiosität weiterleben, weil sie auch in kulturellen und vor allem persönlichen Kontexten stehen. Aber wir können lernen, sie nun nicht länger als Endpunkt, sondern als Brücken zu sehen, über die Menschen aus allen Geistesrichtungen und religiösen Orientierungen kommen. Kein Christ, keine Muslima, kein Hinduist und auch keine Buddhistin müssen sich dabei verleugnen. Die Brücken enden in einem „Land“, in dem der „Himmel“ wahrhaft offen ist und die „Sonne“ des Einsseins über den Unterschieden leuchtet. Jeder findet mit seiner einzigartigen Personalität dort Heimat, auf einem neuen evolutionären Niveau, dem alles umfassenden „Wir“…

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