Auf das vorgeblich Schöne, das Makellose und frei von Brüchen sich Präsentierende hin, orientiert sich die Konsumgesellschaft. Konsum nicht nur der Dinge und arrangierten Gegebenheiten, sondern des Lebens selbst. Doch Sein sieht sich so grundlegend miss-, bzw. zu kurz verstanden. Als sei das Leben des Menschen ein gesicherter Bestand und jederzeit abgesicherter Aufbruch ins Wunschland. Zwischen lackierter Biederkeit und einem verordneten, entsprechend eingepassten Zukunftsoptimismus jongliert diese Weltbildkonstruktion.
Wäre da nicht der Verfall, das Verwehen, Sich-Auflösen, das – zugleich Neuem seinen Raum gebend – eine ganz eigene Faszination erzeugt. Diese ist nicht leicht zu fassen, setzt sie doch einen fließenden Kontrapunkt zur maskierten Schönheit.
Der Verfall ist allem eingegeben als universale Dynamik, als kosmisches Gen, dem nichts entkommt. Kaum geworden, noch nicht ganz in vollem Glanz, erkennst du schon die sich andeutenden Spuren der Verwandlung. Im Gesicht und auf der Haut von Menschen, am Fell des Hundes, in der Blüte des Baums, an der Fassade des Palastes, am von Ränkespielen begleiteten Aufstieg des Potentaten zur Macht.
Man mag von Degeneration sprechen. Solche Wahrnehmung ist allerdings nur dem zueigen, der seine eigene Vergänglichkeit als existentielle Kränkung tief verinnerlicht hat. Der Verfall gehört zur Lebensenergie, zur Schöpfungskraft. Sie kann sich nur gestaltend fortwährend ins Sein ergießen, wenn in kongruenter Bewegung anderes sich zurückzieht und Raum gibt. Damit liegt in dem sich Neigenden zugleich etwas Aufsteigendes.
Was für die Natur als selbstverständlich gilt, muss auch auf alles vom Menschen Geschaffene übertragen werden. Gewiss, es lassen sich durch Konservierung Prozesse verlangsamen: ein eingemottetes Automobil, ein versiegelter Wein, ein ständig gestrichenes Holzhaus. Aber das setzt die Naturgesetze nicht außer Kraft. Es bestätigt nur die Grundeinsicht, dass die Sicherheit des Verfalls kein präzises Datum hat.
Das eigentümliche Faszinosum der Verwitterung des Seienden ruft die Kunst auf den Plan. Denken wir etwa an die im Barock verbreiteten Vanitas-Gemälde; jene Stillleben, die sich ganz der Vergänglichkeit zuwandten. In Totenköpfen, abgebrannten Kerzen, verwesenden Festmahlen, zerbrochenen Weingläsern oder Sanduhren gaben sie dem ausgelebten Leben ein Symbol.
Auch Ruinen, jene in Trümmer gefallene Zeichen vergangener Größe, strahlen oft einen ganz eigenen Charme aus. Er hat eine melancholische Färbung, der nichts Negatives, nichts Verlust Beklagendes anhaftet. Vielmehr berührt er die Seele als ein die Zeiten übergreifendes Feld. Inmitten des Gegenwärtigen leuchtet die Vergangenheit auf; beide finden sich in ein Gleichgewicht der Versöhnung von Gewesenem, momenthafter Berührung und stiller, noch ganz zurückgenommener Hoffnung auf das Kommende. Das ist etwas vollkommen Eigenes. Schönheit wäre zum Beispiel ein unangemessener Begriff für jene Melange aus Ergriffenheit, Erschrecken und dem unaufhebbaren Wesenszug der Wirklichkeit.
Orte, in denen das Vergehen seinen vorübergehenden Ausdruck findet, schon allein dadurch, dass sie verlassen bzw. aus der Alltagsfunktionalität entlassen sind, umhüllen den wahrnehmenden Menschen mit einer geheimnisvollen Atmosphäre. Es ist heute vor allem die Fotografie, die etwas davon zu bannen vermag. So wie im Foto zu diesem Beitrag, das von dem niederländischen Fotokünstler Wil Westerweel stammt.
Solche Kunst ruft nicht nach Deutung und kuratorischer Interpretation. Es zählt die innere Resonanz, die in dem Betrachter ausgelöst wird und die daraus vielleicht sich komponierende ganz eigene Erzählung. Diese bedarf keiner Worte. Sie ist eher ein mit der Seele empfundenes Klangbild.
https://wilwesterweelfotografie.nl/
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