Mit wachsender Unbehaustheit auf unserer Erde werden Menschen rastloser. Emotionaler Druck ob beharrlich schwindender Gewissheiten und der Erosion des Gewohnten und Vertrauten baut sich auf. Unsicherheit, ja Angst fließen aus der Einsicht in die Unabänderlichkeit der planetarischen, zivilisatorischen und kulturellen Krisen sowie der damit verbundenen drastischen Folgen. Trauer erfüllt den Seelenraum, wenn der Blick auf das Leiden und Vergehen von Landschaften, Natur und Kreatur fällt. Und manchmal erstickt diese Trauer jeglichen Sehnsuchtsruf, wenn sie erkennen muss, dass das Verwehen selbst vor der Menschheit wohl nicht halt machen wird.
Aus dieser Ohnmachtsempfindung drängen sich als Antwort Ungeduld und Hektik auf. Sie verbinden sich mit einem Aktivismus, dessen Instrumente zumeist aus jenem Arsenal und Repertoire stammen, die für das Gegenwärtige wesentlich mitverantwortlich sind.
Doch notwendig Neues und Heilendes kann nur entstehen und Wurzeln schlagen, wenn ihnen das jeweils rechte und angemessene Zeitmaß überlassen wird. Das weiche Wasser schleift den scharfen Stein, wie das Tao te King lehrt. Das allerdings dauert in unserer Zeitrechnung Jahrhunderte bis Jahrtausende. Der Friedfertige geht nicht nur wie gefordert eine Meile mit dem Feind, sondern mindestens zwei, wie Jesus anmahnt. So dient die Beharrlichkeit dem großen Ziel und opfert sich nicht dem kleinen und vorschnellen Erfolg bzw. Genuss.
Ein Mensch kann nur wachsen und heranwachsen mit einer Geduld der Mutter, die weit über neun Monate hinausreicht.
Er kann sich nur finden in Nachsicht mit sich selbst und der Bereitschaft, durch alles Scheitern hindurch immer wieder neu zu beginnen.
Wie kann er reifen ohne Langmut und Vertrauen?
Wie sich orientieren lernen ohne die Rück- und Umsicht der Mitwelt?
Wie Freundschaft finden und sie halten ohne unhinterfragbare Verlässlichkeit?
Und wie dem Frieden dienen ohne Vergebung, Versöhnung, Ausdauer und auch Nachsicht – also ohne selbst Frieden zu sein?
Geduld lässt aus Trauer neue Zuversicht sprießen, macht aus Feinden Freunde. Aus ihr strahlt Glanz auf nach einem langen Prozess, der getragen wurde von Ergebenheit, Standhaftigkeit und einem unerschütterlichen Vertrauen in den Lauf der Dinge.
Das dem Leben Dienende folgt den Mäandern des Seins. Im Mitgehen kultiviert es das Warten, das sich Halten in der Schwebe. Es zeigt sich beherrscht, und es akzeptiert die bleibende Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. So vermag es schließlich eines Tages zu spüren, wie der Wunsch sich an die gegebenen Realitäten langsam anzuschmiegen beginnt.
Das Unerfüllte nagt nicht mehr als Defizit, sondern tritt hinter den Moment zurück, der potentiell alles enthält, wenn auch nicht immer das als erwartet Vorgezeichnete. So legt die Geduld Wunder frei, die überall warten. So reinigt sie von Gewöhnung getrübte Sinne. So führt sie in ein mit den Gesetzen des Lebens verbundenes Tun. Und zu solchem Tun sind wir berufen und verpflichtet – allein schon aus unserer Identität, Geschöpf und zugleich Mitschöpfer zu sein. Was wir an Lebensfeindlichem verursacht haben, dem können wir uns nicht durch Laissez Faire entziehen.
Als Tugend der Weisen braucht die Geduld sich selber, um immer wieder nicht nur das Unabänderliche und oft so Schreckliche, sondern sich auch selber auszuhalten. Dann vermag sie den stetig fließenden Strom an Frustrationen als Saat für das zu erkennen, worüber man eines Tages urteilen wird: „Die Zeit war lang, der Preis schien hoch. Aber nun ist es gut so!“
Geduld ist die Schwester der Liebe und zugleich ihr Herz. Sie ist Mutter des Werdens, Himmel für die Kinder und Segen für alles Kommende. Den Dingen lässt sie ihre eigene Entwicklung, die tief in ihnen angelegt ist. Dann öffnen sich Lösungswege, die vorher nicht sichtbar, ja vielleicht noch nicht einmal existent waren. Nicht selten jedoch bewegt sich dies in einem Zeitmaß, das über die Existenz eines Menschen weit hinausreicht. Geduld ist dann eine Frage von Generationen. Sie richtet sich auf die Kommenden und deren Wohl, stellt den eigenen unmittelbaren Vorteil zurück. Geduld dient. Und kein anderer Dienst hat die Kraft, den Geduldigen selbst irgendwann, ohne dass er es merkt, nahe an die Vollendung zu führen.
***Nordseebedingt wird der nächste Beitrag vermutlich erst in drei Wochen erscheinen***
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