Die Antwort der Mystik

ClausAllgemein

Das mystische Auge schaut nicht analysierend, vergleichend und bewertend auf etwas; es schaut vielmehr aus der Quelle des Seins auf die Geschehnisse und das ihnen Zugrundeliegende. Die Essenz der Mystik liegt in der Folge nicht in Verklärung geheimnisumwitterten Nichtwissens. Es ist vielmehr das Erkennen, das bedingungslose Akzeptieren und das Sich-Hineinempfinden und Hineinnehmen in die überzeitlichen Gesetzmäßigkeiten von Werden und Vergehen. Dieses entzieht sich manchmal einer Zugänglichkeit durch Sprache und hat selten Kompatibilität mit den Regeln unserer äußeren Welt. Um so wichtiger ist als verbindendes und bindendes Ferment die Botschaft der Liebe. Jener Liebe, manchmal Gott genannt, die aus dem Zustandekommen des Ur-Seins und der evolutionären Auffächerungen von Leben spricht und die durch dieses Leben fließt. Solcher Reichtum, solche Schönheit und ein solcher Glanz von Wahrheit, wie sie allem Sein an sich innewohnt, kann nur aus Liebe in die Existenz treten. Und nur durch Liebe kann sie gehalten und fortwährend erneuert werden.

Es geht in diesem Sinne somit immer auch um Verständnisse und Sicht- bzw. Schauweisen, die sich der vordergründigen, verdinglichten Welt entziehen. Die Antworten liegen in jener Direktheit, ja Einfachheit, die aus dem Geschauten und als Empfindung Zugelassenen sprechen möchte. Was so ins Leben tritt, braucht keinerlei weitere Anweisungen und kann deshalb auch nicht als Verhandlungsmasse in System-Kontexten dienen. Es lebt sich das im Ursprungsgeist bereits Angelegte: Eine aus der Stille fließende höchste Klarheit als Wasser des Lebens.

Doch kann eine solche Botschaft überhaupt auf die Lebenswelten des Menschen, auf gesellschaftlich/kulturell bedingte und in Strukturen eingebundene Prozesse übertragen werden?

Selbstredend!

Aber es erfordert Mut und Demut zugleich. Mut, weil das, was aus der Wurzelkraft sichtbar wurde, im alltäglichen Geschehen auch an die Wurzel geht. Demut, weil Akzeptanz und Bescheidenheit gefordert sind hinsichtlich der Größe und der Wahrheit des Absoluten.

Blicken wir auf drei exemplarische Felder:

Seit Menschengedenken prägen kriegerische Auseinandersetzungen das Leben auf der Erde. Solange sie nicht nur als Handlungs- und Problemlösungsoption denkbar bleiben, sondern sogar eine stets neu aufflackernde Kriegssehnsucht zu registrieren ist, wird es sie weiter geben. Ihre Feldenergie wird sich stetig neu aufbauen – mit steigender Vernichtungskapazität, bis der Krieg dem Krieg ein finales Ende setzt.
Die Antwort der Mystik ist einfach und radikal zugleich:
Heil und Heilung liegen in Friedfertigkeit als existentieller Haltung. Und der Weg zur Friedfertigkeit ist Friedfertigkeit und eine Kommunikation, die sich durch nichts entmutigen lässt. Bedingungslos. Denn die Logik von Gewalt und Gegengewalt kann sich nur so lange als ultima ratio behaupten, wie ihre so selbstverständlich scheinende Eigendynamik nicht durchbrochen wird. Möglicherweise wird dies zunächst für lange Zeiten ein Obsiegen des einseitig Gewalttätigen und eine grundlegende Missachtung unserer Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit mit sich bringen. Und es bedeutet auch, dass Schuld entsteht bezogen auf die unschuldigen Opfer, die sich nicht mit Waffen verteidigen können. „Selbstentzweiung des Lebens“ nennt Albert Schweitzer solche Dilemmata. Doch auf Dauer, zum Ende der Erschöpfung und des Ausblutens hin, würde auch hier das weiche Wasser den scharfen Stein runden.

Die Erde wird ausgezehrt durch die Gier nach immer mehr Gütern. Wohlstand wird dies von einem Teil der Menschheit genannt. Verbunden damit ist ein entsprechend erkranktes Bewusstsein und die Entschiedenheit, diesen Wohlstand zu verteidigen, auch mit Mitteln des Krieges. Bei einem anderen Teil der Menschheit nimmt die Not dadurch zu.
Die Antwort der Mystik ist einfach und radikal zugleich:
Genügsamkeit in allem. Im Habenwollen, im Behalten, in der Rechthaberei, in der Ernährung und der Vermehrung. Sich Bescheiden mit dem, was für ein Leben in Würde hinreichend ist. Genügsamkeit schafft Freiheit; in der Bewegung, im Handeln, für die Vertiefung geistiger Räume. Nur mit einem können wir maßlos sein – mit Liebe und mit Friedfertigkeit.

Dem Bewusstsein des Einsseins und einem entsprechenden Geist der Verbundenheit stehen Abgrenzung und das Urteilen gegenüber. Sie fluten nicht nur das personale, sondern auch das kollektive Bewusstsein sowie das kollektive Unbewusste mit einem zersetzenden Gift. Dieses narkotisiert das Streben nach Friedfertigkeit.
Die Antwort der Mystik ist einfach und radikal zugleich:
Sein lassen, in der uns begegnenden Symbiose von Einzigkeit und Vielheit. Denn alles ist Leben inmitten von Leben und möchte einfach nur leben, wie uns Albert Schweitzer lehrte.

Die Mystik ist dem gegenwärtigen Menschentum weit voraus. Zu weit, um sie realistisch als den wesentlichen Bestandteil planetarischen Bewusstseins mit bedenken zu können. Dafür benötigte sie den neuen Adam und die neue Eva, die nur sie selbst mit erschaffen kann. In Zeitenräumen allerdings, die sich nicht in einem Menschenalter und schon gar nicht in politischen Epochen messen lassen. Mystischer Weltzugang als Alltag, jener Geist kosmischer Verbundenheit, jene Verschmelzung von Himmel und Erde, Transzendenz und Immanenz wird auf dieser Evolutionsstufe deshalb ein Sehnsuchtsraum bleiben. Die sich über Haben, Halten und Abgrenzung definierende Personalität des Menschen steht einem Mehr auf dieser Ebene entgegen. Mit all den Folgen, die wir kennen und die zu erahnen wir verurteilt sind. Zugleich hält diese Personalität für jeden einzelnen Menschen potentiell alles an Verwirklichungskraft in sich, um wenigstens über den eigenen Schatten springen zu können. Das wird die alte Welt nicht retten. Aber es stärkt das Würdebewusstsein und die Selbstachtung. Beide wiederum sind Samen, damit Neues, Heilsames und Lebensdienliches sich ausbreiten kann. Und das scheint mir nicht wenig…

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