Vom Einsamsein – Eine Ehrenrettung

ClausAllgemein

Da lebt eine als Strafe und Verhängnis tief empfundene Einsamkeit in manchen Menschen, oft hervorgerufen durch schicksalhaft oder auch altersbedingtes Allein- oder Verlassensein.
Manchmal aber mögen Einsamkeit und Alleinsein frei gewählt oder zugeflogen sein, wahrgenommen als ein gemäßer Zustand, selbstverständlich in den äußeren und inneren Alltag integriert.
Ein so sich zu seiner Einsamkeit bekennender Mensch muss damit leben beäugt, beurteilt und manchmal bedauert zu werden. Lebt er auch noch allein oder sucht zumindest immer wieder das Alleinsein, ist im Außen das Urteil schnell gefällt. Selten werden in einer Ablenkungskultur diese Einsamen verstanden. Man wünscht sich Erklärung von ihnen oder drängt gar „Hilfe“ auf. Dabei sind sie sehr klar, verständlich, verdrängen nur die in allem bewussten Sein ruhende Melancholie nicht aus ihrem Leben. Sie wissen den Reichtum zu schätzen, den eine größere Unmittelbarkeit dem Leben gegenüber schenkt – nicht verstört durch diese oder jene gesellschaftliche Konvention, die letztlich nur zerstreuen will.

In dem als Einsamkeit empfundenen Zustand lebt ein Mensch in einer besonderen Wahrnehmung und besonderer Verbundenheit. Sie ist geprägt durch eine intensive Aufmerksamkeit jenen Dingen und Geschehnissen gegenüber, die in den Bewegungen und Turbulenzen von Gemeinschaftlichkeit ansonsten leicht in den Hintergrund rücken. Der Klang des Windes, die Bewegungen eines Vogels, der zum Licht sich streckende Blütenkelch, die Dämmrigkeit der kürzer werdenden Tage. Und all das, kaum geschehen und kaum gesehen, schon wieder verweht.

Dem Einsamen stürzt die Zeit nicht hinweg, wie abbrechendes oder austauschbares Leben; sie hüllt sich mit Stille ein und einem Verstummen überflüssiger Fragen. Sie kehrt zu dem von Innen her gegebenen Leben zurück, das irritiert auf manch äußere Geschehnisse schaut.
Oft begleitet unerfüllte Sehnsucht das  All-Eins-Sein. Doch wäre kaum etwas schmerzlicher, als dass diese Sehnsucht sich im Moment ihres Erscheinens bereits gestillt sähe. Surfen auf den Wellenspitzen ist sicher ganz nett. Doch die wie Gischt aufschäumenden Wellen auf der Oberfläche eines unruhigen Gewässers vermögen keine Resonanz zu der Weite des Himmels und den Tiefen des Meeres zu erzeugen. Dort, wo du siehst, wie der Strahl der Sonne durch das blaue Wasser gebrochen wird und sich zu einem glänzenden Schimmern wandelt.

Die respektierte Einsamkeit ist weder mit Hass auf Äußeres oder Anderes, weder mit Abgrenzung verbunden, noch flieht sie in ungestümes Begehren. Das fällt manchmal schwer. Doch kann man etwas Positiveres sagen? Hat nicht nur die Schwere auch Gewicht?

Einsamkeit und ein mit der Unendlichkeit verbundenes All-Ein-Sein wollen Ernst genommen werden, sowohl als Phase in einem Leben wie auch als existentielle Seinsweise, die in Berührung steht mit metaphysischer Tiefe. Was Blicke von Außen dabei als Mangel sehen, mag Betroffenen Fülle sein und Reinheit. Überflüssige Fragen berühren nicht die stille Ausrichtung des Gemüts. Schön sind die meisten Wege zu gehen – lang, weit und leer. Ein freundliches Nicken für den begegnenden Fremden, der dich spüren lässt, du lebst.
Leicht geschieht es, dem einsamen im Alleinsein ruhenden Menschen Verstummen oder gar Verstocktheit zu unterstellen. Dabei spricht er nur anders; durch die Weise seines Seins und den damit verbundenen Hinweis auf Freiheit. Und er spricht gerne still in die Stille und das Dunkle hinein.

Der einsame Mensch mag sich in einer Art Wartestand befinden bzw. empfinden. Doch sein Privileg liegt darin, nicht wissen zu wollen, geschweige denn zu müssen, auf wen oder auf was. Auch wenn Fragen bleiben, die nicht schweigen.

Sicherlich kommt es vor, dass das Alleinsein eine Folge der Entfremdung von manchen Mitmenschen ist. Ein mühsamer und schmerzlicher, aber manchmal auch befreiender Weg. Gut ist es dann, wenn die, mit denen du im selben „Feld“ lebst und Nähe für sie empfindest, sich nicht irgendwo in den Weiten verlieren. Einsamkeiten, die umeinander wissen, bilden eine starke und unerschütterliche Gemeinschaft.

Bleibt da die Frage nach der Liebe. Sie ist einfach zu beantworten. Denn seit deiner ersten Liebe weißt du, dass Lieben nicht ohne Einsamkeit geht und das Gefühl des Allein-, ja manchmal Verlassenseins. Wer nicht verstanden hat, dass Lieben und Alleinsein Zwillingsseelen sind, wird Liebe und damit den geliebten Menschen dadurch missbrauchen, dass er beide nur auf sich bezieht und nicht ihre heilige Unabhängigkeit respektiert. Die mit ihrer Einsamkeit versöhnten Liebenden werden diese gegenseitig schützen – ahnend, dass nur so sie über sich hinaus, in „das Dritte“ hinein, verbunden bleiben können mit-ein-ander – über die Zeiten und Alltagserosionen hinweg.

So verstandenem Alleinsein haftet also kein Stigma an und schon gar nichts Unerträgliches. Aus ihm spricht im Letzten einverstanden zu sein mit dem All-Einen. Es ist ein Ja, nicht ohne Wehmut. Doch ohne diese kann Bedingtes im Unbedingten nicht leben, wenn es sich nicht in einer Dauerbetäubung aufhalten will.

Nimm doch die Einsamkeit als eine Gnade
Wie eine Welle fließt sie ans Gestade
Und versinkt im Sand

Der sie eine Weile hält
Bis sie sich wieder sammelt
Um aus dem tiefen Meer
Stärker als alle Welt
Erneut ans Land zu strömen

Und dem trocknen Strand

Ein wenig Feuchtigkeit zu schenken
Für einen Augenblick sich zu versöhnen

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