Inseln inmitten

ClausAllgemein

Stetig und mittlerweile unübersehbar wächst ein Mahnmal innerhalb der zerstrittenen und zerrissenen Menschheitsfamilie. In metallener Klarheit weist es darauf hin, dass die Träume von einer lebensdienlichen, friedfertigen und bescheidenen globalen Kultur wirklich nur Träume sind; dass die aus Einsicht und zugleich Ohnmacht in die Welt gerufenen Appelle als Rufe in der Wüste verhallen; dass wahrhafter Wandel aus jener überlebensnotwendigen Symbiose von Vernunft und Liebe zwar noch denk-, aber mittlerweile nicht mehr begründet vorstellbar ist. Wie ein unauslöschlicher genetischer Code erweisen sich das Ego, das Haben, das Immer-Mehr, die Abgrenzung, unkontrollierte Emotionen und Aggressivität als zu übermächtig. Selbstverschuldete Unmündigkeit und deutlich unterschiedliche Entwicklungsstufen auf der Erde kommen hinzu. Wobei das zuletzt Genannte weder etwas mit der technischen Zivilisationsstufe zu tun haben muss noch auf einzelne Regionen unserer Erde beschränkt werden kann. Vielmehr verlaufen die Linien der Verwerfung quer durch einen Großteil der Kulturen und durchschneiden auch das personale Bewusstsein der meisten Menschen.

Seit Jahrzehnten befindet sich der Nahe Osten in einem permanenten Besatzungs- und Kriegszustand. Für das Leiden der Menschen finden sich keine angemessenen Worte. Doch ein ernsthafter Wille zum Nachgeben und zur Versöhnung ist von keiner der beteiligten Seiten erkennbar. Ob sich nach einem zu erwartenden desaströsen Flächenbrand die Dinge wirklich friedfertig neu ordnen, scheint mehr als zweifelhaft. Zu tief sitzt der Hass, zu präsent und wirkmächtig sind die kollektiven Traumata. In anderen Krisenherden sieht es nicht wesentlich anders aus.

Seit Jahrzehnten fressen sich Klimawandel und Artensterben in das so empfindsame und fein austarierte Gleichgewicht der Lebensnetze. Zugleich breitet sich der Mensch beschleunigt weiter aus, versiegelt den Boden, raubt anderem Leben den Raum, vergiftet Äcker, vermüllt Flüsse und Meere. Zwar jagt eine Konferenz zur Rettung des Planeten die nächste. Doch gefeiert wird jedes Prozent an Wirtschaftswachstum. Und der unersättliche Konsument steckt in nahezu jedem von uns.

So ist es Zeit, aus den Träumen zu kommen, sich nicht länger durch Illusionen aus dem Schmerz, aber auch aus der Verantwortung wegzutrösten.
Es ist Zeit, das mir Mögliche in eine Seinsweise zu überführen – als angewandte Lebens- und Verantwortungsethik. Entsprechende Erwartungen an die Netzwerke der Macht kosten nur kostbare Kraft, die sinnvoller investiert werden kann.

Die „Fläche“ ist als Ganze nicht mehr heilbar. Aber Leuchtpunkte inmitten sind jederzeit und überall in die Welt zu bringen. Als kleine Inseln nicht nur der Hoffnung, sondern der tätigen Liebe, geboren nicht zuletzt aus Selbstachtung.

Warum die Metapher einer Insel?

Natürliche Inseln haben natürliche äußere Grenzen, die nicht künstlich errichtet werden müssen. Sie sind von Wasser umgeben oder als Oasen in der Wüste von Sand. Die Grenzen sozialer, gesellschaftlicher, kultureller und gemeinschaftlicher Inseln sind zumeist unsichtbarer Art. Sie bilden sich aufgrund ihrer Werte- und Verhaltensdifferenz bezüglich ihres Umfelds.
Inseln der Hoffnung und des Wandels zeichnen sich dabei aus durch ihre unbedingte Lebensorientierung und Lebensdienlichkeit. Das macht sie als Leben inmitten von Leben trotz allen Eigenseins offen und zugänglich. Sie benötigen keine Identität durch Abgrenzung. Da sie berühren, bleiben sie selbst berührbar. Ihr Anderssein besteht aus Verhalten, geistiger Orientierung und Zuwendungsenergie. Lebensinseln schaffen ein eigenes Kraftfeld, das wir wahrnehmen können, wenn wir uns ihm nähern und es betreten bzw. wenn ein diesem Kraftfeld zugehöriger Mensch einen Raum bzw. ein soziales Feld betritt. Der Anspruch lautet also:
Dort, wo du dich bewegst und verhältst, sollte durch deine Bewegung und dein Verhalten Veränderung spürbar sein.
 
Wir sprechen von Inseln, die als einzelne Persönlichkeiten oder als sich zu Gruppen zusammenschließende Menschen aus dem Meer der Gleichgültigkeit, des blinden Konsumismus und des geistig-ethischen Verfalls herausragen. Es sind keine „Orte“ esoterischer Abschottung, sondern des klaren Lebens inmitten von anderem Leben; jenseits überflüssiger Diskussionen und ermüdender Auseinandersetzungen. Jede Frau und jeder Mann können in die untrügerische Empfindung gehen, was als Denken, als Fühlen und als Handeln im umfassenden Sinne dem Netzwerk des Lebens dient. Jeder von uns weiß doch, wo die Alltagskompromisse enden müssen und Konsequenz gefordert ist – ohne Dogmatismus und Fanatismus. Was dabei nicht geht, geht eben nicht – die überzeitlichen Gesetze und der überzeitliche Lauf der Dinge werden es inmitten des Zeitlichen klären und regeln. Auch wenn der Preis dafür dann ein hoher sein wird.

Vier Grundsätze, über die an dieser Stelle schon manches geschrieben wurde, können in dem „Insel-Projekt“ als Orientierung dienen:

Einfachheit und Bescheidenheit in Lebensansprüchen und Lebensstil
Friedfertigkeit und Nichtverletzen bezogen auf alles Leben und alle Lebensformen
Gewissensorientierung und Hören bezogen auf die inneren Stimmen und die Regungen des Lebens
Geschwisterlichkeit im Umgang miteinander – Menschen, Tiere, Pflanzen und Mutter Erde betreffend

Auf der verbindlichen Basis dieser eine Einheit bildenden konvivialen Kriterien können wir uns, alle räumlichen Grenzen überschreitend, seelisch, geistig, sozial verbinden. Nichts hindert daran, umeinander zu wissen, sich zu vernetzen und zu vertrauen, solidarisch miteinander und mit dem Lebensnetz zu sein.

Konventionell gedachter Widerstand gegen die Missachtung und Demütigung von Leben und dessen Bedürfnissen mag sinnvoll und vor allem in Notwehrsituationen auch unverzichtbar sein. Vielleicht findet die ein oder andere darin ihre Berufung. Dann ist das gut! An sich aber schwächt, ja lähmt das Anrennen gegen die Bastionen der überkommenen Vernichtungskultur. Die Kraft wird für das Neue benötigt, nicht das gewalthafte, uneinsichtige und sterbende Alte. Dabei gilt, auf die eigene Lebensökologie und -ökonomie zu achten. Und dass die Freude am Entwerfen und Gestalten des Neuen nicht leidet. Meint aus Bescheidenheit erwachsende Schönheit doch etwas anderes als verbitterte Askese.

Welcher Grund wäre anzuführen, mit solchem zu warten. Eine Insel entsteht bereits durch das unbedingte Willens- und Entschiedenheitsfeld eines Menschen, der zur Resonanz einlädt. Wahrhaftige und offene Kommunikation treten verbindend hinzu. Mehr braucht es nicht. Vorerst…

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