Eine Ehe sieht sich als zerstört. Zu sehr klaffen die jeweiligen Sehnsüchte, Träume und Erwartungen nach Jahren des gemeinsamen Weges nun auseinander. Zu tief eingegraben sind die Enttäuschungen, Verletzungen und die Erfahrung des alltäglichen Scheiterns inmitten der vertrauten Gewohnheiten und Routinen.
Mit abgrundtiefem Unverständnis stehen sich bei aller Liebe Eltern und ihr heranwachendes Kind gegenüber. Hier der Blick auf Sicherheit und Kontrolle über das Leben; da der ungestüme Drang, der in das Andere zieht, die Wildheit, die sich nicht einnisten will in ebenes Land ohne Erhebungen und Schluchten und endloser Langeweile.
Zwei Völker und Kulturen, auf engstem Raum aneinander gebunden, stehen sich so unversöhnt gegenüber, dass nur der Hass aufeinander sie noch eint. Terror der einen Seite wird mit großflächiger Vernichtung von Land und Bevölkerung durch die andere Seite beantwortet. Beide sehen sich im Recht, und sie sind das aus spezifischen Blickwinkeln und Rechtsauffassungen jeweils auch.
Vorausgesetzt, die Einsicht und der Wille sind vorhanden, sich auf eine irgendwie geartete, gemeinsame und versöhnte Zukunft zuzubewegen – es gibt immer einen Weg. Nur möchte Manches dabei gesehen und berücksichtigt sein. Vor allem: Das Land, zu dem wir aufbrechen, wird ein ganz anderes sein als der bislang vertraute Raum. Grenzen wollen überschritten, Bäche übersprungen, Flüsse durchquert, mancher Abgrund überwunden und schrittweise das hinter uns gelassen werden, was die Namen „Meines“ und „Deines“ trug. Das Ich und das Du werden geführt von dem Stern eines neuen Wir .
Es ist ein Auferstehungsweg. Auf ihm kommen wir an 14 Stationen vorbei, die begleiten, leiten und Orientierung geben.
Eins: Toleranz dem Unterschiedlichen und Trennenden gegenüber
Das Sein ist Eins und Widerspruch zugleich. Dies gilt auch für Länder, Kulturen, Gemeinschaften und Paare. Am Ausgangspunkt der gemeinsamen Reise will das jeweils Andere nicht nur gesehen, sondern respektiert sein. Auf Augenhöhe und ohne Verurteilung beginnt der Weg. Was hinter uns liegt, bleibt hinter uns zurück. Ihm wird kein Recht gegeben, in die Gegenwart destabilisierend hineinzuragen.
Zwei: Wahrhaftigkeit
Sie richtet sich auf Denken, Verhalten, Sprechen; sie gibt dem Miteinander ein Fundament. Reinheit und Klarheit der Sprache zeichnet sie aus und eine entsprechende Selbstreflexivität. Klarheitsschmerzen auf beiden Seiten können nicht ausgeschlossen werden. Doch die Sorge darum muss hinter der Gewissheit zurückstehen, dass Verschweigen bzw. Halbwahrheiten neue Dunkelzonen schaffen. Nur der wahrhaftige Mensch ist authentisch.
Drei: Geist des Nichtverletzens
Die Intention des gemeinsamen Aufbruchs und des Kommunizierens leitet. Nicht willentlich und wissentlich schädigen, Wunden schlagen, den Anderen mindern oder mit Vorwürfen konfrontieren. Der Einsatz der Sprache wird so zum Sehen von Spielräumen – was gesagt werden muß, was von der Situation abhängt, wo Schweigen heilsamer ist. Vor allem aber: Alles Nichtverletzen beginnt im Geist, in einer entsprechenden „Hygiene“ der Gedanken.
Vier: Empathie
Vorsichtig bewegt sie sich zwischen Nähe und Distanz, Fremd- und Selbstwahrnehmung, Ich- und Wir-Verständnis. Das in der Empathie sich ereignende einfühlende Verstehen setzt die weitestgehende Bereitschaft zur Ausrichtung auf das Gegenüber und eine entsprechende Empfänglichkeit voraus. Es geht darum zu lernen, vom Anderen her zu denken und zu empfinden, ohne dass es zu meinem Eigenen wird. Vergleiche sollten vermieden werden. Respekt heißt die Mutter der Empathie. Verstehen Wollen ist der unermüdliche Antrieb. Dazu gehört die unbedingte Anerkennung der Würde des Anderen in jeder vorstellbaren Situation.
Fünf: Hören
Im Hören als Fundament des empathischen Akts finden Respekt und Achtung einen Ausdruck. Gesammeltes Hören basiert auf innerem Schweigen. So erst kommt das Wort zur Tiefe des Klangs, der Tiefe der Bedeutung. So erst findet es unverstellten Zugang in mein Bewusstsein. Hören entschleunigt den Austausch und beschleunigt Annäherung und Verständnis. Es legt Potentiale im Du und in mir selber frei, öffnet verschüttete und unerwartete neue Spielräume.
Sechs: Präsenz
Sie führt in die Wahrnehmung von Unmittelbarkeit. Sie sichert die Intensität des gemeinsamen Prozesses. Dem mit mir Gehenden wird sie spürbar als die Gewissheit, beieinander und miteinander in einem Kontext zu stehen.
Sieben: Offenheit
Sie baut Kommunikationsbarrieren ab, die in dem jeweiligen Anderssein wurzeln. Privilegien durch gesellschaftliche Stellung, Bildung oder Sprach-, Sprechfähigkeit werden nicht zum eigenen Vorteil genutzt. Offenheit fordert nicht, und sie will den Anderen nicht anders machen als er ist. Sie führt in die Partnerschaft der Situation.
Acht: Dialog statt Debatte
Debatte ist Krieg. Sie ruft nach Siegern und Verlierern, will argumentative Muster und damit verbundene eigene Interessen durchsetzen. Dialog meint: Begegnen statt belehren, sich aufeinander einlassen, verdeckten Wertungen und unterschwelligen Intentionen – vor allem auch bei sich selbst – nachspüren. Der Dialog bildet eine Plattform für Erfahrungs- und Lernprozesse. In ihm schreiben sich Selbstannahme und Fremdannahme integral fort.
Neun: Vorwürfe ertragen
So mindern wir die Gefahr, dass meine Friedfertigkeit durch die scheinbare Infragestellung des Selbstwertgefühls kollabiert. Vorwürfe zu ertragen deeskaliert. Es trägt zudem große Potenzen des Erkennens und damit der Heilung in sich, setzt Lernprozesse in Gang. Oft gilt es zu verstehen, dass Vorwürfe lediglich ein Auswurf der Verzweiflung und der Ohnmacht des Gegenübers sind. Gewiss wollen die Gründe von Vorwürfen erkannt und gemeinsam bearbeitet sein. Doch dies ist eine Frage von Takt und Timing.
Zehn: Vergebung
Sie steht im Zentrum der abrahamitischen Religionen und einer entsprechenden ethischen Ausrichtung. Ist Vergebung wechselseitig, befreit sie wechselseitig. Das meint allerdings nicht, notwendige Klärungen zu umgehen und von Verantwortung für ein bestimmtes Handeln freizusprechen. In der Vergebung richtet sich der Blick auf das Schöne, statt von Hass und Wut zerfressen zu werden.
Elf: Den ersten Schritt tun
Auf den Anderen zugehen, sobald Dissonanzen spürbar sind. Jesus: „Vertrage dich mit deinem Gegner, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist.“ Den ersten Schritt zu tun, das meint auch: Feindbildern und vor allem Verkennungen, die ich in mir trage, nachzuspüren. Den ersten Schritt zu tun, sollte nicht an der Frage gemessen werden, ob ich mich im Recht oder Unrecht sehe. Es bedeutet, grundsätzlich Anschlusskommunikation sicherzustellen, was auch passiere unterwegs.
Zwölf: Mit dem Du zum Ich werden
Wir lernen, uns vom anderen her zu verstehen, erkennen das Ich in der Spiegelung durch das Du. Erst in dieser Spiegelung als reflektierter wechselseitiger Verbundenheit entsteht eine vollständige Personalität. Sie ist Basis jeder wahren Partnerschaft.
Dreizehn: Gelassenheit
Es gilt immer einen letzten Humor zu behalten. Denn der lebenslange Lernprozess des Aufeinanderzu- und Miteinandergehens führt auch zu immer wiederkehrenden Überforderungen und Frustrationserlebnissen. Diese darf man sich zugestehen, sie sollten nie durch Täuschung, Macht und falsche Klarheit kaschiert werden.
Vierzehn: Fehlertoleranz
Gelassenheit und ein übergeordneter Blick auf uns selbst führen schließlich dazu, Scheitern, Fehleinschätzungen und vorübergehende Ohnmachtsgefühle grundsätzlich einzupreisen. Sie sind nichts weiter als ein Hinweis des Schicksals, uns gemeinsam neu zu besinnen und auszurichten; nicht an Denk- und Verhaltensweisen festzuhalten, die sich als untauglich erwiesen haben. Fehler sind Fingerzeige für korrigierbare Defizite.
Im besten Fall wartet am Ende des Auferstehungsweges ein langsam sich in den Konturen herausschälendes neues Land. Es ist errungen, erlitten, erstritten; vor allem aber erliebt und aus gegenseitigem Respekt geboren. Es heißt WIR.
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