Alltag und Transzendenz

ClausAllgemein

Das Streben nach dem Darüberhinaus ist dem Menschen eingegeben. Grenzen zu überschreiten, kennzeichnet seinen Weg des Werdens und dient als Motor der Entwicklung – in jegliche Richtung; selbst zurück zur Barbarei. Und so gilt es zu unterscheiden, worauf das Überschreiten sich bezieht und mit welchen Interessen es verbunden ist.

Überschreite ich die Grenze zum Schutzraum des anderen, nicht nur menschlichen Lebens – aus Neugier, Achtlosigkeit, Böswilligkeit bzw. um mir Vorteile zu verschaffen? Negiere ich die Haltemarken, auf die Ethos und Humanum mich verweisen? Missachte ich die Beschränkung auf das mir ausgesprochen oder in der inneren Empfindung zugewiesene Lebens-Terrain? Treibt der wissenschaftliche und innovative Geist in immer neue Dimensionen der Erkenntnis und des „Fortschritts“?

Oder ereignet sich eine Annäherung an jene unsichtbaren Linie, die das Unsagbare vom alltäglich vor mir Liegenden trennt, die das so grundlegend Andere vom Vertrauten und das als so unendlich größer Empfundene vom sinnlich Erfahrbaren unterscheidet? Darauf verweist „Transzendenz“. Sie kann als unsere existentielle Sehnsuchtsdimension gesehen werden.

Des Menschen „Gestalt“ und Sinnhaftigkeit wird ganz nur in der Einheit von Immanenz und Transzendenz, von Zeit und Ewigkeit, von Erde und Himmel. Das über uns Hinausweisende erst führt zu unserer wahren Identität. Das Größere und Entgrenzte leuchtet als Stern, an dem ich mich orientiere. Der Werdeimpuls zieht über die Erdhaftung hinaus, ohne sie zu verlieren. Das kleine Ich weitet sich in das große Selbst und darf doch immer wieder im Ausgangspunkt ruhend ankommen. Wohl wahrgenommen allerdings sollte in der Regung dieses Überschreitens werden, dass sie nicht nur aus sich selber kommt, sondern zugleich Antwort ist. Antwort auf die Dehnungsbewegung des Transzendenten in das Immanente, des Göttlichen in das Menschliche hinein. Transzendenz kann so als Prozess gegenseitiger Resonanz verstanden werden. Es geht um die Verbindung des materiell Existierenden und/oder in der Erfahrung Gegebenen mit dem absoluten Grund und/oder tiefer geistiger Dimension.

So wäre es demnach dramatisch verkürzt, Transzendenz und das Transzendente nur als das zu betrachten, was dem „wirklichen Leben“ in unendlicher Differenz und unerschließbarer Geheimnishaftigkeit gegenübersteht. Auch muss damit nicht unbedingt eine Transzendierung des eigenen Bewusstseins einhergehen. Vielmehr wird es in der Praxis unseres Lebens darauf ankommen, die unmittelbare Erlebnisfähigkeit in Verbindung mit der Sehnsucht nach dem uns Überschreitenden zu führen. Dann wird sich letztlich alles als transzendent Betrachtete oder Bezeichnete als auch dem Immanenten innewohnend erweisen können. So fallen Grenzen. Sehnsucht kann anlanden in den Sternenmeeren der Nacht, der Erhabenheit eines Baumes, den Augen eines Kindes, dem Vorbeiflug eines Vogels, dem Anblick einer Wolke oder auch den Empfindungen, die mit dem Klangerleben von Musik, der Schau eines Gemäldes oder dem Versinken in Literatur einhergehen. Das durch manche Menschen Hindurchscheinende sei nicht vergessen, jene Diaphanie, die in Begegnung wartet.

Wo immer die Schritte hinführen; in welche Nähe oder Ferne die Sehnsucht streift; welche Unergründlichkeit zur großen Frage wird … Transzendenz ist schon da, und sie ruht in Allem; geht jeden Weg mit und lässt spüren, was als Wissen nicht vereinnahmt werden kann. Wer sie zulässt, in sich hineinlässt, der Berührung traut, in dem wird zur Gewissheit reifen, selbst Teil des transzendent Genannten zu sein. Unumstößlich, im Sein, im Werden, im Vergehen und Verwehen.

Immanenz und Transzendenz geben sich nun als Begriffe zu erkennen, die durch ihre Trennung auf das Verbindende, ja die Einheit verweisen wollen. Die Benennung der Pole wird zur Voraussetzung für das Verstehen der Ganzheit, ja des Einsseins schlechthin.

Dazwischen liegt im Menschen der von beiden Seiten begehbare Übergangsraum – die Stille, die tiefe Stille vor und hinter den Gedanken und Worten. Durch Offenheit, Hingabe und Anvertrauen bereitet sie der Resonanz das Feld. Als jene Stille und Wachheit, die im inneren Reich ankommen lässt, möchte man sie umschreiben, als ultimative Heimat von Sein, Bewusstsein und dem Numinosen, als atmende Sehnsucht.

Ganz bei sich sein und doch mit allem, auch dem „göttlich“ genannten Unfassbaren verbunden. Nennen wir das kontemplative Haltung. In ihr begeht der Mensch keine Weltflucht, sondern er lässt das ewig Hindurchscheinende zu, damit es schließlich in jeder Handlung und in jedem Gedanken einen Ausdruck finden kann. So beheimatet sich Transzendenz im menschlichen Daseinsraum. Unnötig dann, noch in Außen und Innen zu unterscheiden.

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