Zeit, sich Wundern zuzuwenden

ClausAllgemein

Es ist ermüdend, inmitten Ruinen produzierender Zeiten zu leben, ihnen in ihrer destruktiven Dynamik zu folgen und dann Vergehendem oder schon Vergangenem nachzutrauern. Beklemmung umschreibt nur vorsichtig das Gefühl, das sich, aus der Wahrnehmung kommend, im Körper ausbreitet. Not wohnt neben Scham und jenem Schuldempfinden, das aus dem doch eigentlich besseren Wissen resultiert. Aus dieser Nachbarschaft breiten Schatten sich aus, die bald das Leben durchziehen. Selbst der Himmel scheint nur noch beladen mit Tränenwolken.
Das Wandern zwischen den Welten von Sein und Möglichkeit, von Resignation und Aufbruch wird immer einsamer und orientierungsloser. Nur nachts oder in tiefer Stille kannst du hören, wie die himmlische Welt sich zur irdischen neigt und ihr flüsternd vom Frieden erzählt.

Nun naht die Stunde, das Propagandagerede von der Unausweichlichkeit der Verhältnisse auszublenden, sich mit Wundern zu beschäftigen und sich ihnen vorsichtig und leise zu öffnen; nicht wissend, ob der Wunderhimmel vielleicht nur eine Seifenblase des Bewusstseins ist oder doch eine ganz eigene Dimension höherer Intelligenz, evolutionärer Feldenergie und gnadenhafter Zuwendung.

Als Wunder wird das bezeichnet, dessen Zustandekommen sich unserer alltäglichen Einsicht verschließt. Es scheint den Naturgesetzen und der bisherigen menschlichen Erfahrung zu widersprechen. Allerdings unterscheidet sich von Mensch zu Mensch stark, was als Wunder angesehen wird. Eine allgemeingültige Definition trägt deshalb nicht. Und so folgt dem Wunderhaften immer der Zweifel. Gegenüber entsprechenden eigenen inneren Stimmen gilt es dann wehrhaft zu sein. Denn deren oft kalte Nüchternheit hält unfähig, sich jenem anzuvertrauen, was zwar nicht auf Wissen, aber auf überzeitlicher Gewissheit beruht. Man möge dann auf einen Satz blicken, den Augustinus von Canterbury im 6. Jahrhundert sprach:
„Wunder stehen nicht im Gegensatz zur Natur, sondern nur im Gegensatz zu dem, was wir über die Natur wissen.“

Man kann Wunder allerdings auch als etwas betrachten, das sich weniger auf die Außerkraftsetzung naturbedingter Geschehnisse richtet – ohne dies auszuschließen – als vielmehr auf Interventionen, die das Bewusstsein der Menschen betreffen. Mit dessen Wandel wandeln sich in der Folge die materiellen Gegebenheiten, die aus menschlichem Handeln resultieren – manchmal auf durchaus wundersame Weise…

Solches Wunder, dies kann wohl konstatiert werden, bricht aus einer tieferen Wirklichkeit in das Menschliche hinein. In dieser Wirklichkeit ist es angelegt und grundsätzlich verfügbar, wenn wir gelernt haben entsprechend zu schauen und uns als Einladung zur rechten Zeit darzubieten. Wunder und Kairos zeigen sich so als Zwillingswesenheiten.

Das Einverständnis, sich von dieser Welt, die wir mit dem Zauberwort des Wunders umschreiben, als einer neuen Wirklichkeit führen und verwandeln zu lassen, gilt es herzustellen und zu halten. Sture Eigenmächtigkeit verlängert die Einkerkerung in das Gewohnte und für den Ist-Zustand ja Verantwortliche. Sie lässt uns auch das selbst Verursachte mehr und mehr aus kritischer Reflexion entgleiten. Es geht also um das Lassen des Lebensfeindlichen und Verwundenden, das Zulassen des Kommenden und die Bereitschaft dieses willkommen zu heißen. So geschieht Wandlung, die Wundertauglichkeit mit sich bringt.

Was bis in diese Erdenstunde die Sinne für das Lebensdienliche durch die Raserei technologischen Fortschritts und konsumistischer Versklavung betäubt und das Leben in einer Fluchtbewegung vor dem Wesentlichen gehalten hat, muss zurückbleiben. Ohne Wehmut und ohne sentimentale Blicke über die Schulter der Zeit. Sonst kann ich mich nicht wandeln (lassen). Und dann gibt es auch keine Anschlussfähigkeit zum Anderen, der gleichfalls der Erfahrung durch Wandlung bedarf.

Das Wunderland ist das Sehnsuchtsland des Menschen. Vordergründigkeiten, Haben-Wollen und Begehren können die Grenze nicht passieren. Geht es doch um Lebensorientierung und nicht um Besitzverhältnisse. Und auch nüchterne Rationalität wird außen vor bleiben; hat sie doch nicht einmal eine Ahnung von dem Ersehnten.

Ein hereinbrechendes oder sich gestaltendes Wunder wahrzunehmen, ist nicht selbstverständlich. Wir sehen ja noch nicht einmal die Tatsache als wunderbar an, dass alles immer schon da ist – wie etwa das bloße Sein in der unfassbaren Komplexität und Schönheit des Lebens. Dass überhaupt etwas ist und nicht nichts, und dass es so reich und zugleich so geordnet ist, wie es ist, das „Urwunder der Schöpfung“.

Von diesem Gedanken her kommend, möge es dann ja sogar sein, dass zum Wunder taugen und reichen würde, das bereits Vorhandene in seinen unerschöpflichen Möglichkeiten endlich zu sehen und ihm nicht in sein Entfaltungsrecht zu pfuschen. Es zu sehen allerdings mit dem Spürsinn des Herzens und nicht dem verklemmten Behaupten sogenannter Vernunft.

In diesem Sinne nun, auch wenn es zweifellos andere Bedeutungen geben mag, können wir das Wunder als die Öffnung unseres Innenraums beschreiben und als das Zulassen einer bereits vorhandenen und als neu lediglich empfundenen Wirklichkeit. Und wenn das als Geschehnis im einzelnen Menschen möglich ist, warum nicht auch in der Weltseele des Menschentums. „Wunder sind sicher“ sagte einst ein schon lange nicht mehr lebender Freund. Und er ergänzte: „Aber es liegt an uns, sie in uns anzustoßen“.

Damit wären wir auch beim Wunder wieder bei uns selbst, personal und kollektiv. Kein im sogenannten „Außen“ Liegendes sei deshalb als Metapher der Rettung beschworen. Auch wenn wir dessen wirksame Existenz nie durch Verleugnung brüskieren sollten. Aber es folgt eigenen, uns nicht zugänglichen „Gesetzen“.

Was bleibt zu sagen?
„Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ (David Ben-Gurion)

Zum Anhören klicken Sie bitte hier
Wenn Sie meinen Blog abonnieren möchten, klicken Sie bitte hier