Auf dem Weg der reinen Sehnsucht

ClausAllgemein

Dass der Mensch ein Sehnsuchtswesen sei, wer wollte das bestreiten.
Dass er überhaupt erst Mensch wird durch seine Sehnsucht – auch das einsehbar. Die Sehnsucht ist Taktgeber und Kompass der Existenz. Sie drängt in die Ziele.

Es war die Sehnsucht, die uns in das erste Erwachen führte. Damals, vor vielen tausend Jahren am Übergang vom magischen zum mythischen Zeitalter. Die große Seinsfrage, eine ihr folgende Idee und zugleich ein Spüren und Ziehen suchten sich Raum. „Wer bin ich, wo komme ich her, wohin führt mich mein Weg? Was ist das, was von mir Besitz ergreift und mich nach oben schauen lässt?“

Das Göttliche war im Bewusstsein des Menschen geboren. Die Einsicht, dass da etwas Größeres sein muss als ich selbst, aus dem ich meine Maßstäblichkeit ziehe. Hier liegt der Ursprung allen sich Sehnens – was etwas vollkommen anderes meint als zu begehren.

Gewiss, auch das sich liebend hingezogen Fühlen zu einem anderen Menschen, das Streben nach materiellen Gütern und Selbstverwirklichung, vermögen ein Menschenherz weitgehend auszufüllen. Doch immer wird dabei ein in Unruhe haltendes Defizit bleiben, je gründlicher der Quelle allen Sehnens nachgespürt wird und durch das Vorläufige und Endliche hindurch das Absolute schimmert.

Ein Ding kannst du erlangen und dich in Besitz wähnen. Der Absolutheitssehnsucht ist ein Unerreichbares, selbst im Ankommen beigegeben. Es hält den Menschen im Status Viatoris, in der Haltung des Unterwegsseins, des sich zum Größeren hin Streckenden und in der Grazie der Hingabe. Nüchtern könnte man von der Differenz zwischen „Schon Jetzt“ und „Noch Nicht“ sprechen, wie Paulus das tut.

Der Zauber, die Wegdynamik und die Bindungskraft der Sehnsucht liegen in ihrer scheinbaren Paradoxie. Diese zeigt sich, wenn wir der Frage nach ihrer Herkunft nachspüren. Kann es anders sein, dass auch sie dem kosmischen Grundgesetz der Resonanz folgt, was dann meint: Das sich als Sehnsucht nach dem Absoluten im Menschen Regende kann als Antwort gesehen werden auf die Sehnsucht des Absoluten selbst nach Begegnung, nach Widerhall. Die Transzendenz streckt sich in die Immanenz hinein, der „Himmel“ zur Erde, das Göttliche zum Menschlichen. Es ist ein Zeichen des Einsseins in Unterschiedlichkeit. Die Schlussfolgerung daraus könnte berührender nicht sein.

Wer nicht nur verstanden, sondern es als Seelenregung verspürt hat, dass wir, in der Sehnsucht uns bewegend, zugleich in ihrer Antwort leben – der kann sich auch gewiss sein, bereits im Raum des Göttlichen  zu weilen noch während er es sucht. Diese Sehnsucht beschreibt sich somit nicht mehr als bloßes Defizit, nicht lediglich als existentiellen Mangel. Auch wenn eine letzte Spannung bleibt, sprechen wir hier von Erfüllung, immer schon Jetzt.

Dem global herrschenden Wirtschaftssystem ist es gelungen, die Quellsehnsucht des Menschen auf Dinge und ihren Erwerb umzulenken und damit auch so manche Seelenregung zu verdinglichen. Er macht dabei auch vor Beziehungen nicht halt. Materialismus hat die Kultur durchdrungen und den Vorraum der Transzendenz zugestellt. Entsprechend abgelenkt, ja verloren sind so manche Wege. In verflachenden Begegnungen entleert Kommunikation sich zusehends. Status, Konsum und Ökonomie; Erfolg, Wachstum und sogenannter Fortschritt beherrschen fast vollständig die Systemdiskurse, aufgehübscht durch sentimentale Anwandlungen, denen die wahre Liebe fehlt. Sie alle führen zu einem tiefenkulturellen Offenbarungseid.

Dabei braucht es nur den Mut zur Besinnung, zur bewussten und gewollten Annäherung an den eigenen Wesenskern. Das befreit die reine Sehnsucht und damit den Zugang zum Leben, das so unendlich viel mehr ist als ein Ich mit gelenkten Bedürfnissen.
Die Ursprungs- und Gottessehnsucht, einmal erkannt, einmal zugelassen, empfunden und im Gebet kommuniziert, zwingt in die Entscheidung:
Worauf richtet das Leben sich aus?
Wohin streckt sich der Geist?
Mit wem bin ich unterwegs?

Gerade die letzte Frage hat etwas Existentielles: Dass sich zu der Geborgenheit im Sehnsuchtsraum des Absoluten die Gemeinschaft der Aufbrechenden gesellt; das Wissen darum, nicht alleine unterwegs zu sein zwischen Immanenz und Transzendenz.
Sog und Zerfall der Dingwelt werden uns anwachsend schwächen. Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, für wen wir gehen, hilft deshalb der Geist des Gemeinschaftlichen, um nicht in Gefühlen des Verlassenseins zu stranden.

Dem Stern der Sehnsucht folgend, der alles Neon überstrahlt und jede Dunkelheit durchdringt, sind wir unterwegs für die Kommenden. Kunde zu geben von dem Unantastbaren inmitten des Zerfalls, von der Hoffnung, die nur im Unterwegssein blüht, von dem Vertrauen, das größer ist als jede sogenannte Rationalität.

Auf dem Weg der reinen Sehnsucht gibt es kein Verlorensein.
Doch er drängt zur Ausrichtung.
Dann ist der Hunger gestillt…

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