Stell mich hin, wo du willst

ClausAllgemein

Unsichere Zeiten zerfließender Gewissheiten und zunehmend fragiler Strukturen sind gekoppelt mit dem Auftreten und Erstarken von Personen, Gruppierungen und Staatenlenkern voll dröhnender Selbstgewiss- und Selbstgerechtigkeit. Sie verordnen Einfachheit im Denken, wo Umgang mit Komplexität gefordert ist; sie erwecken archaische Dualismen und eine entsprechende Auf- und Einteilung der Welt – in gut und böse, gerecht und ungerecht, richtig und falsch. Im schlimmsten Falle berufen sie sich dabei auf das, was sie Gott nennen. Ein Verwerfnis.

In den heiligen Schriften werden Warnungen ausgesprochen, nicht „im Rat der Gottlosen“ zu wandeln (etwa in Psalm 1), bei nichts zu bleiben, was nicht wahrhaft Gott sei. Doch kann das die Antwort sein und bleiben?
Es würde, wenn es auf Abkehr und Abgrenzung hinausliefe, die Spaltung der Welt lediglich fortschreiben und noch weiter vertiefen.

Heilen, vielleicht gar verändern, können wir nicht durch Abwendung und Flucht, sondern nur durch Verbleib, Ausharren, Präsenz. Allerdings meint das etwas anderes als lauwarme Duldung von Hass und Lebensfeindlichkeit. Es appelliert vielmehr an Haltung, die nicht von Selbstgerechtigkeit geleitet ist, sondern der Beheimatung im Ethos des Lebensdienlichen, gegründet in Liebe zum Leben.

Worum geht es?

Selten lassen sich tief einschneidende kulturelle Gräben und Strukturen des Bewusstseins durch Diskussionen und Debatten überwinden, die lediglich auf Recht Bekommen zielen oder in empathielose Missachtung anderer Sichtweisen münden. Wo Worte, gleich auch welcher Intention, gar als Anlass genommen werden, kommunikativ zu eskalieren, ergibt sich eine notwendige Verlagerung von Ausdrucksweisen. Das Wort nimmt sich zurück, die Präsenz bleibt. Das als Persönlichkeit wahrnehmbare Verhalten zeigt sich in Klarheit, Offenheit und Unaufdringlichkeit. Ein zugewandtes Lächeln statt eines Angriffs. Obwohl man der Liebe als Grundenergie und Schöpfungskraft vertrauen kann, erwächst daraus nicht der Anspruch, jeden Menschen lieben zu müssen. Wäre das doch eine unsere Verfasstheit negierende Illusion. Achtung und Respekt sollten jedoch vorausgesetzt werden. Und vielleicht kann daraus dann sogar in Begegnung langsam eine liebende Zuwendung erwachsen –  selbst als Feindesliebe, selbst als Fernstenliebe. Nicht zuletzt erhofft dies ein Mensch ja auch sich selber gegenüber von anderen. Und nie ist es außerdem vollkommen sicher, wer der Irrende oder Fehlende ist, bzw. ob ich nicht gar als der „Gottlose“ betrachtet werde. Und so kann der verbindliche Maßstab nur das aus dem Verhalten erwachsende gelebte Beispiel sein. Es ist das Einzige auch, aus dem Kinder wirklich nachhaltig lernen.

Inmitten zu bleiben und sich präsent zu halten ist in der Abfolge oft weniger eine physische als vielmehr zunächst eine Frage des Geistigen. Nur wenn in dessen Raum nicht Abkehr und Verurteilung dominieren, sondern Offenheit als Schlüsselmoment der Grundhaltung, können sich Begegnungen ereignen, die über ein Vertrauen ermöglichendes Fundament verfügen.

Verbleiben, aushalten, Haltung zeigen – das hat einen großen Eigenwert. Dieser sollte nicht mit missionarischem Eifer und Überzeugungsdrang verwechselt werden. Durch die reine Präsenz einzelner Menschen kann beim Betreten eines Raumes – physisch oder geistig – etwas von dem Unaussprechbaren und dem Geheimnisvollen, auf dem das Sein sich gründet und das Ehrfurcht gebietet, in die Wahrnehmung treten. Entsprechende Resonanzfelder werden schon allein dadurch auf Ruhe und liebendes Da-Sein hin gestärkt. Es reicht dabei, das dem Leben Zugewandte zu stützen bzw. möglicherweise überhaupt erst spürbar zu machen. Und selbst, wenn ein Mensch die Präsenz- und Begegnungsräume dann wieder verlässt, um seinen Weg weiter zu gehen, bleibt ja etwas; und dieses hat sowohl mit dem Feld der Begegnung, mit den Anderen als auch mit ihm selbst zu tun.

Pascal Mercier schreibt in dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“:
»Wir lassen etwas von uns zurück, wenn wir einen Ort verlassen, wir bleiben dort, auch wenn wir weggehen. Und es gibt Dinge in uns, die wir nur wiederfinden können, wenn wir dorthin zurückkehren.«

Für jene Menschen, die sich durch den Impuls des Lebens geführt und zugleich durch die geistige Welt begleitet sehen, gibt es keine Un-Orte, die zu meiden wären wie die Pest und wie „die Hölle“ selbst. Für sie gilt, was Mary Ward (1585 – 1645), einer Ordensgründerin, die sich für die Bildung von Mädchen einsetzte, zugeschrieben wird:
„Stell mich hin, wo du willst. Ich bin in deiner Hand.“

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