Der chinesische Fluch

ClausAllgemein

 

Mit den äußeren Sinnen können wir dem Lärm und der Unruhe der Welt nicht entkommen. Die Konzerte der Motoren von Autos, Motorrädern, Flugzeugen, Baumaschinen sind in wechselnder Besetzung ebenso dauerpräsent wie die Töne der Bewusstseinsmaschinen, mit denen wir uns verschmolzen haben: Computer, Fernsehen, Radio. Du betrittst den Warteraum einer Arztpraxis und wirst mit Dudelfunk umhüllt. Töne begleiten dich im Supermarkt und im Café. Im Auto quatscht dich permanent die Dame vom Navi an und im Wald überholt dich ein Mountainbiker mit Lautsprecherrucksack auf dem Rücken…Tritt wider Erwarten und fast schon verstörend etwas Stille ein, drängt der Griff zum Smartphone.

Doch auch Bilder belagern unser Bewusstsein und halten es in Beschlag. Gedanken, Sorgen, Ängste, Emotionen fassen uns an und halten Geist und Seele in Spannung. Was uns, wo und wie auch immer, begegnet und wo und wie auch immer berührt, führt zudem in kontinuierliche Prozesse der Unterscheidung. Ihnen folgen Urteile. Evolutionär betrachtet, war und ist dies wichtig. Differenz und Unterscheidung gehen jeglicher Entwicklung und auch Entfaltung voraus. Zugleich aber blockiert uns das in einer extern bestimmten Energie und liefert uns ihr sehr weitgehend aus. Und so gehört die Entfremdung, ja Abkappung von der eigenen Potentialität und Tiefe durchaus mit zu diesem Prozess. Das gilt nicht nur für den einzelnen Menschen. Es hat Bedeutung auch für ganze Kulturen, die sich im großen „Lärm“ verlieren.

Mit den inneren Sinnen vermögen wir ein Korrektiv zu schaffen. Ich spreche vom inneren Raum, über den jeder Mensch verfügt, auch wenn nur wenige ihn finden, ja überhaupt etwas von ihm wissen, oder besser, spüren. Der innere Raum ist der einzige „Ort“ in unserer irdischen Existenz, den nur wir selber betreten können. Eigentlich ist er ein Nicht-Ort, nicht-lokal, a-rational und zeitfrei. Etwas Übung, Hartnäckigkeit und Konsequenz vorausgesetzt, finden wir dort jene Stille, die mehr ist als das vorübergehende Verstummen der Worte, der Gedanken und des Lärms. Und wir erhalten eine Ahnung, ja eine sanfte Berührung aus dem Resonanzraum hinter der vordergründigen Stille. Hier liegt unsere eigentliche Heimat, die schon bestand, bevor wir als Mensch die Erde betraten und die nicht verloren geht, wenn wir wieder gehen.

Ein Leben in Tiefe erfordert die Wechselbewegung zwischen der „Welt“ und dem inneren Universum. Die Alten nannten das die Pendelbewegung zwischen Kampf und Kontemplation. Es lohnt, sich in diese Bewegung einzuschwingen; damit sich nicht ein alter und zugleich der schrecklichste chinesische Fluch in dir erfüllt:

„Möge immer etwas Interessantes um dich herum sein…“

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