Dein Weg

ClausAllgemein

„Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt“. Solches lehrt uns der Talmud, die jüdische Weisheitsschrift zur Auslegung der biblischen Texte. Das scheint mir nicht nur für eine einzelne Person zu gelten, sondern für die Menschheit, den Menschen an sich, im Gang durch die Evolution. Immer haben wir eine Wahl, auch wenn jeder Mensch, jede Kultur, jedes Volk auf unterschiedliche Ausgangsbedingungen blickt und lernen muss, mit den Folgen des vergangenen Tuns und Widerfahrens bewältigend und zugleich zielorientiert umzugehen.
Dies ist dein Platz. Er ist dir gegeben. Nimm ihn an, und dann hast du von jetzt an die Wahl (fast) alles zu beeinflussen bzw. in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Das setzt fortwährende Klärungen voraus. Martin Buber spricht in seinem Werk „Pfade in Utopia“ davon, dass das Leben ein Hindurch sei. Und er resümiert: „Hindurch aber werden wir nur kommen, wenn wir wissen, wohin wir wollen.“ Wahl also setzt Wissen und vor allem Orientierung voraus. Niemand kann uns diese Klärung abnehmen, wenn wir nicht von Kräften geführt werden wollen, die andere hervorgerufen haben oder die uns als „Zufall“ begegnen.

Klärung und Wahl öffnen Schneisen im Leben, die wir begehen können. Aber sie versprechen keine Sicherheit. Die Kontingenz, der unberechenbare Faktor, verbleiben immer im Prozess. Dies gilt genau so wie die Einsicht, dass wir im Letzten natürlich nicht die Herren unseres Schicksals sind. Da spielen noch ganz andere Energien mit. Aber wir können eben die Weichen stellen. Und wir können vertrauen und uns Hoffnung tätig „verdienen“. Scheitern inbegriffen.

Es gibt Menschen, die beschreiben ihr Leben aus einer Selbstsicht, in der das Nichtgelingen, die zerbrochenen Erwartungen, das Scheitern also, im Zentrum stehen. Und noch schlimmer: sie vergleichen ihren Weg dann gar mit anderen, bei denen doch alles scheinbar besser lief und läuft. Ich denke dann eher an Sisyphos, den antiken Helden. Die Götter verurteilten ihn ob seiner Aufsässigkeit dazu, immer wieder einen gewaltigen Stein einen Berg hinaufzustemmen, nur um dann ansehen zu müssen, wie er wieder herunterrollt. In der Deutung von Albert Camus, der heute, am 4. Januar, vor sechzig Jahren bei einem Autounfall starb, ist das jedoch kein Desaster, sondern der Umgang damit vielmehr eine Sache der inneren Einstellung.
Die Wahlmöglichkeit zeigt sich nun darin, entweder zu verzweifeln und damit den Göttern ihren billigen Triumph zu gönnen; oder das Schicksal anzunehmen und es zur eigenen Sache zu machen. Denn auch im Kraftaufwand kannst du frei sein; auch im Innehalten nach der Arbeit; auch im befreiten Gehen den Berg wieder hinunter; auch im Durchatmen vor der nächsten Anstrengung. Die Wahl des Weges besteht so in einem Bewusstseinsakt dem scheinbar Unabänderbaren gegenüber. Sie verwirklicht sich im fortwährenden Erkämpfen der inneren Freiheit und der Zuversicht wider alle Wahrscheinlichkeit. Dieses ist es, was Camus dann im letzten Satz seiner Erzählung über den Mythos des Sisyphos zu der Aussage führt: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

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