Der Moment zeigt die Richtung

ClausAllgemein

Gerade in Zeiten und Epochen wie diesen, mit ihren umfassenden Bedrohungen von Lebensprozessen auf allen Ebenen des Seins, wächst das Leiden an der Empfindung, nichts Wirksames tun zu können, um Schaden zu begrenzen oder abzuwenden. Mancher fühlt sich wehrlos und hilflos, vielleicht sogar unnütz, wenn man nicht inmitten dessen, was wir an Zerfall und Zerstörung auf der Welt wahrnehmen, an konkreten Aktionen beteiligt ist. Doch je grundsätzlicher Probleme sind, desto unangemessener kann Aktionismus und eine oberflächliche Zufriedenheit sein, die sich daraus ergibt, Tätigkeitslisten abzuarbeiten.

Tiefgreifende Umbruchszeiten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie grundsätzlich gestaltungsoffen sind und höchstgradig unvorhersehbar in der Bewegung. In solchen Situationen wären manche feste Pläne, an deren Umsetzung ich mich beteilige, möglicherweise fatal. Denn sie entspringen zumeist ja noch dem Denken und Empfinden der „alten Zeit“. Und das steigert die Gefahr, dass sich bislang unerkannte Möglichkeitsräume durch gewohnheitsmäßiges Anhaften vorzeitig schließen. Geht es also in der Konsequenz um Nichttun?

In der Bhagavad Gita, dem Schlüsselwerk des Hinduismus, befindet sich dieser zunächst paradox klingende Satz:

„Geheimnisvoll ist der Weg des Menschen. Wer in der Tat die Nichttat sieht und in der Nichttat wiederum die Tat, der ist ein Einsichtsvoller unter den Menschen, gesammelten Geistes alle Werke verrichtend.“

So müssen wir das Tun und das sogenannte Nichttun wohl differenzierter verstehen. Nichttun meint nicht, nichts Tun. Es verweist vielmehr auf eine besondere Haltung nicht nur dem Tun gegenüber, sondern dem Sein an sich. Und diese Haltung, um die es geht, hebt die Trennung zwischen Tun und Nichttun letztendlich auf.

Das Leben kann als Übungsweg gesehen werden – in Wachheit und Achtsamkeit allem gegenüber, was mir begegnet. Das meint, sich ganz einzulassen auf die Situationen, in denen ich stehe und auf das, was von mir in diesem Moment gefordert ist. Der Moment also zeigt die Richtung, und ich schlage sie ein. Wie im Flug zöge ansonsten das Leben weitgehend konturenlos an mir vorbei. Eine solche Achtsamkeit und ein Sich-Einlassen führen zu Konsequenz, ohne von etwas Äußerem getrieben zu sein und zu einer Gelassenheit jenen Herausforderungen gegenüber, die Alltagsnotwendigkeiten überschreiten.

Dem Moment seine Chance zu lassen und sie zu ergreifen verringert das Risiko, immer wieder aufs Neue unbedacht mit Überraschungen konfrontiert zu werden, die sich schmerzhaft gegen ein verplantes Leben aufbäumen. So werde ich auch der grundsätzlichen Unberechenbarkeit (Kontingenz) des Seins gerecht. Ob diese Haltung jeweils in ein sogenanntes Tun, eine Aktion oder ein sogenanntes Nichttun oder auch Lassen führt, scheint dann unerheblich. Denn beide sind in dem Moment symbiotisch verbunden.
Gewiss: Ein so umschriebenes Leben im Strom des Alltäglichen stellt in seiner Intensität eine kontinuierliche Herausforderung dar. Ohne Vertrauen ist sie nicht zu bewältigen. Vertrauen, dass das Schicksal mir den Weg zeigt, dass es eine Führung jenseits meiner Pläne und Gewohnheiten gibt. Trotz aller bewussten Lebensgestaltung wird mir dabei immer auch das begegnen, was wir Zufall nennen, was mir aber doch nur ein Zeichen am Weg sein will.

„Wer im Einklang mit einem größeren Ganzen einer guten Fügung traut, der wartet auch gegen den äußeren Schein und gegen die Einwände und gegen die Ängste. Das ist eine große spirituelle Leistung. Das viele Überlegen dagegen ist Misstrauen. Dann entzieht sich das, was fügt und führt und man bleibt auf sich selbst gestellt. Dieses Vertrauen ist wie eine Vorwegnahme von Sterben und daher gibt es auch keine Hilfe außer Demut und Vertrauen.“
(Bert Hellinger)

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