Wo Denken und Grübeln an ihre Grenzen stoßen, wartet die Intuition, um einem verstockten und sich selbst im Wege stehenden Geist unter die Arme zu greifen. Sie ist die wohl unmittelbarste und stärkste Erkenntniskraft.
Jeder Mensch kennt Intuition und die intuitive Regung als gefühltes Wissen, als den Geistesblitz, das Aha-Erlebnis, den aufsteigenden musikalischen Klang, das diffuse und doch unmissverständliche Bauchgefühl. Was dadurch geboren oder angestoßen wird, bedarf keiner Begründung durch die sogenannte Ratio. Es basiert auf Vertrauen. Zugleich scheitern wir daran, hinreichend zu erklären, was das denn sei, diese Regung, und woher sie komme.
Neben unbewussten Spuren integriert die Intuition zielgerichtet geistige und sinnliche Prozesse. Sie verdichtet diese sprunghaft zu einer Eingebung, die Klarheit und eine Orientierung schenkt und zur Handlung drängt. Intuition wächst in der Befreiung von einem Geschehen, das in Routinen erstickt und mechanisiert abläuft. Sie steht in der zeitlichen Spannung zwischen Schon Jetzt und Noch Nicht. Dabei setzt sie spezifische Energien und emotionale Zustände frei. Der Stress fällt ab, in einer ausweglosen oder verstrickten Situation zu sein.
In der Intuition wird ein neues Bild der Wirklichkeit geboren. Es zeigt sich vor unserem inneren Auge, als wäre eine Tür aufgestoßen, die den Blick freigibt in einen zwar schon immer vorhandenen, aber erst jetzt entdeckten Raum. Alte Erfahrungen sowie Denk- und Verhaltensmuster fügen sich mit bislang unbekannten Impressionen zu einem neuen Ganzen zusammen.
In der Intuition begegnen wir keinem analytischen oder diskursiven Denken, es wird auch nicht bloß ein Gefühl emporgespült. Vielmehr entsteht in einem komplexen Akt der Koordination aus einzelnen bewussten und unbewussten Erkenntniselementen ein neues Ganzes, eine neue Wissensgestalt. Diese fällt uns zu, oder besser, wird uns geschenkt, ohne dass wir den Weg nachzeichnen können, den sie ging. Wer sich durch Intuition bereichern lassen möchte, sollte eine gewisse Unbefangenheit und das unschuldige Staunen nicht verlernt haben. Denn es geht darum, eine Gewissheit zu akzeptieren, die sich der Frage nach ihrem Woher entzieht.
Aus welchen Quellen nun schöpft die Intuition? Sie greift auf alles zurück, was geistig und energetisch im Menschen und in seinem lebendigen Umfeld ruht, die Übertragung von Gedanken und Gefühlen selbstredend nicht ausgeschlossen. Ihr dienen das biografische und das Leibgedächtnis genauso wie das universale Menschheitsgedächtnis. Sie stellt die Verbindung her zwischen Bewusstsein und Unterbewusstem – die Botschaft der Träume und den Schatz der Archetypen inbegriffen.
Vor allem das Leibgedächtnis des Menschen verdient hier besondere Beachtung. Im Alltagsverständnis reduzieren wir Gedächtnis und Gehirn ja gerne auf unser Kopfgehirn. Doch von nicht minderer Bedeutung ist dessen Abbild, das im Bauch des Menschen lebt und wirkt. Es besteht aus nahezu 100 Millionen Nervenzellen, steuert psychische Prozesse wie Freude und Leid. Es fühlt und hält eine kontinuierliche Kommunikation mit dem Kopfhirn von unten nach oben aufrecht. Seine Emotions-Gedächtnisbank beinhaltet Erinnerungen aus dem gesamten Leben, die pränatale Phase inbegriffen. Das so genannte „Bauchgefühl“ und die „Weisheit des Bauches“ erhalten damit einen neuen Sinn.
Das intuitive Geschehen durchbricht die bisherigen Muster des Denkens und der Wahrnehmung. Dazu benötigt es Spielraum und innere Freiheit. Denn es sind die ausgetretenen inneren Wege und gedanklichen Verhaftungen genau wie die unhinterfragten und festgefahrenen äußeren Gewohnheiten, die Überraschungen und neuen Orientierungen entgegenstehen. Vergleichbar blockierend wirken Tabus und Verbote. Sie führen genau wie Angst und Stress zu einschneidenden Begrenzungen nicht nur der Wahrnehmung, sondern auch der sichtbaren Deutungs- und Handlungsoptionen.
Bestimmt Achtsamkeit unsere innere Präsenz, hält sie auch die Intuition mit im Spiel. Dann führt der Blick unter die Oberflächenschicht und abseits von dem raumzeitlichen Komplex, in dem sich unsere Wahrnehmung normalerweise aufhält. So widersetzt Intuition sich den Gesetzen der vorübereilenden messbaren Zeit und befreit aus ihrer Umklammerung. Zeit macht sie nicht als Sequenz und als Abfolge erfahrbar, sondern als erlebte und metaphysisch gegebene Unmittelbarkeit. In ihr verschmelzen alle Zeitlinien, das Zukünftige eingeschlossen. Es ist das, was wir Kairos-Erfahrung nennen. Bereit zu sein für den intuitiven Vorgang, heißt, bereit dafür zu sein, so lange mit Fragen zu leben, bis wir, ohne es planen zu können, in die Antwort hineingeführt werden.
Das intuitive Erfassen führt zu Ergebnissen, die wir manchmal erst nachher verstehen, dass es genauso und nicht anders hätte sein dürfen, wie es gekommen ist. Und dazu muss man stille werden…
Das Universum meint es gut mit uns. Wenn man die Zeichen erkennt, dann bekommt man immer rechtzeitig eine Warnung.
(Markus Stockhausen)
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