Denknotwendigkeit

ClausAllgemein

Wer sich den Blick in das großartige Wunder der Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde nicht versagt, kann nur zu dem Schluss kommen, dass alles Leben heilig ist. Es erscheint dabei nicht relevant, ob diese Empfindung naturwissenschaftlicher Beobachtung oder ehrfurchtsvollem Staunen entspringt. Idealerweise gehört Beides ja auch zusammen, wie vor allem Albert Einstein nicht müde wurde, zu betonen. Ethik, also das rechte und angemessene Tun, folgt der Einsicht in die Außerordentlichkeit und zugleich Schutzbedürftigkeit der Lebensprozesse auf den unterschiedlichsten Ebenen und Linien des Seins. Doch wie gelangt der Mensch zu dieser Einsicht? Wie erschließt sie sich ihm, wenn die liebende Zuwendung nicht in ihm lebt und er sich jegliche „weltfremde Sentimentalität“ verbittet, die in Vorschriften mündet?

Dies war eine entscheidende Frage auch für den Begründer der Lebensethik, Albert Schweitzer. Nicht religiöse Orientierungen oder Gefühle sollten Ausgangspunkt für das Ethische sein – denn beide sind im Letzten zu subjektiv und beliebig. Gefühle kommen und gehen, sie unterliegen keinen aus der Vernunft ableitbaren zeitunabhängigen Notwendigkeiten, und sie überlagern so möglicherweise das angemessene Erkennen und Handeln. Schweitzer setzte deshalb auf eine im Denken und Erkennen begründete Vernunft. In deren Folge, viel mehr also, als allein aus sich selbst heraus, können sich dann die Liebeskräfte des Herzens durch Einsicht bilden. Sie führen zur Grundlegung des Ethischen.

Somit entsteht in dieser Sichtweise Ethik durch die Notwendigkeit, sich denkend mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Dabei wird die Ehrfurcht vor der Wahrheit über alles gestellt. „Ethisch werden heißt wahrhaft denkend werden“, legtSchweitzer als Grundstein für alle Zukünftigkeit. Das unterscheidet eine vernunftgemäße Ethik von lebensdienlichen Handlungen, die sich rein situativ, gesteuert durch Gefühle, ergeben.
Auch wenn die Lebensethik an die Gefühle des Menschen appelliert, ja diese zu orientieren vermag, im Letzten muss das denkend Erkannte zu ethischem Handeln genügen. Nur das denkend Erkannte vermag sich kraftvoll, selbst in emotional erkalteten Zeiten, zu positionieren; nur dieses erweist sich stärker als die Macht sogenannter Verhältnisse.

Die Natur kennt keine, und sie braucht keine Ethik. Sie folgt den Gesetzen, die sie werden lassen und die ihr immanent sind. Es ist demgegenüber nicht nur das außerordentliche Privileg des Menschen, den Willen zum Leben, der sich in allem Sein und allen Lebensformen ausdrückt, denkend zu erkennen und sich so in klarem Bewusstsein selbst zu erfahren. Es ist auch seine Verpflichtung. Denn er verletzt in dramatischer Weise die Gesetze des Lebens, bringt die hochsensiblen Fließgleichgewichte biologischer und biochemischer Prozesse aus dem Lot und lässt sie kollabieren.

Im denkenden Erkennen kann sich der eigene Wille zum Leben bewusst entwickeln, verfeinern und dann auch auf alle Lebensformen und Lebensprozesse übertragen. Nun bin ich nicht nur in der Lage besser zu verstehen, was mein eigenes Leben prägt. Vielmehr wandelt sich das Verhältnis zum Leben an sich. Was ihm zu dienen vermag, wird in der Folge zum Tun hin befreit.

Der durch nichts zu ersetzenden Bedeutung von Denken und Erkennen sollte man jedoch noch einen Zusatz widmen. So spricht einiges dafür, dass wer sich in ihnen erschöpft, in Pessimismus oder Zynismus landet. Denn das Erkennen zeigt eben auch die unglaubliche Blindheit und Erkenntnisverweigerung so unendlich vieler, gerade auch für die Entwicklungen auf der Erde maßgeblicher Menschen. Und so kann nur jenes denkend erlangte Erkennen segensvoll werden, das ins unbedingte persönliche Wollen führt und eine darauf sich gründende tätige Hoffnung. Diese Hoffnung geht aus einer Innerlichkeit hervor, deren Fundamente in Größerem ruhen als dem äußeren Geschehen der Welt. Wir sprechen von dem, was uns nährt und uns immer wieder spüren lässt, trotz aller Ernüchterung, nicht alleine, sondern in einem unsichtbaren Feld getragen zu sein. Es ist das, was aus einer zunächst nur als notwendig erkannten, zu einer tätigen Ethik führt.

Wenn sich die im Denken erschließende Ethik durch angemessene Tat mit Liebe verbündet, führt sie in das Einswerden mit dem Sein an sich. Darin liegt ihr tiefenkultureller, ja spiritueller Charakter.
„Der Mensch, der sich zu ihr bekennt und sie betätigt, ist in elementarer Weise fromm.“ (Albert Schweitzer)

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