Die Frohe Botschaft

ClausAllgemein

Von Alexander Poraj

„Jesus ist nicht mehr der Erlöser, sondern der Kontemplations-Lehrer schlechthin, der allen Menschen genau die gleiche und von ihm selbst erlebte unmittelbare Möglichkeit aufzeigt.“

Das Abendland ist zutiefst christlich geprägt, auch dann, wenn viele nicht mehr direkt den Glauben bekennen. Ist diese Identität aber noch zeitgemäß? Oder sollten wir ihr – wie zahlreiche Stimmen es behaupten – nun entwachsen?
Auch wenn die Frage einfach ist, die Antwort ist es nicht. Das liegt daran, dass es eine Entweder-oder Frage ist, die genau nach einer Entweder-oder Antwort verlangt. Dafür allerdings ist eine Wirklichkeit, „Christentum“ genannt, viel zu komplex, um sich solch einer eindeutigen Frage und in ihrer Folge auch eindeutigen Antwort stellen zu können. Wir müssen also aufpassen wie wir fragen, denn es sind bereits die Fragen, die die Antworten determinieren, so wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe lediglich dasjenige sichtbar macht, was er beleuchten kann und nicht all das, was ist. Und so wäre es angemessen, mit den kumulierten Erfahrungen und dem vielfältigen Wissen unserer Kulturgeschichte die Frage nach dem Christentum anders zu formulieren. Etwa so: Wie kann die Person und die Botschaft Jesu von Nazareth heute verstanden, erfahren und gelebt werden?

Die großen Glaubensrichtungen des Christentums wie die Orthodoxie, der Katholizismus und der Protestantismus entschieden sich für die Sakralisierung der Person und des Todes Jesu. Er sei der einzige wirkliche Sohn Gottes und sein Kommen auf die Welt hätte ein einziges Ziel, nämlich die Erlösung der gesamten Menschheit von der Sünde und dadurch die Wiederherstellung des Zuganges der Menschheit zum Gott-Vater. Auf dieser Interpretation der Person Jesu bauen fast alle christlichen Glaubensgemeinschaften ihre Weltsicht auf. Die entsprechenden und sehr komplexen Rituale, wie Taufe, Buße und vor allem die tägliche Feier der heiligen Messe basieren auf dem Erlösungsgeschehen und damit dem Kreuzestod Jesu.
Allerdings gibt es in den Evangelien eine zweite Erzählweise, welche der oben genannten zu widersprechen meint. Es ist die Narration vom Reich Gottes, das bereits mitten unter uns weile (Lk17,21). Deswegen lädt der König alle zum bereits jetzt stattfindenden Festmahl ein. Und es sind die Geladenen, welche die Einladung ablehnen, immer unter dem Vorwand, die alltäglichen Ziele seien wichtiger als die Feier dieses Festmahls.

Folgen wir dieser zweiten Sicht, so entsteht ein ganz anderes Bild des Wanderpredigers Jesus von Nazareth. Nun kommt ein Mensch zum Vorschein, und das ist bereits die wohl wichtigste Perspektive. Jesus war ein Mensch, der die Beziehung zwischen Gott, Mensch und Schöpfung innerhalb der jüdischen Sichtweise reformieren wollte. Der Kern seiner Reform ruhte mit aller Wahrscheinlichkeit auf seiner eigenen, tiefen persönlichen Einsicht in die Untrennbarkeit und damit Einheit des Seins schlechthin. Diese Erfahrung mündet in der berühmten Aussage: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 10,30). Und während sich die christlichen Institutionen und Kirchen nahezu ausnahmslos um die erste Narration konstituieren, wird die zweite Interpretationsweise, die ebenfalls sehr alt ist, von den Institutionen verurteilt und bekämpft. Diese Interpretation nennt sich die „Mystische“ und die ihr zu Grunde liegende Haltung, die sie erst ermöglicht, nennen wir in unserer abendländisch-christlichen Tradition „Kontemplation“.

So gesehen lehrt Jesus jene Haltung, welche es ermöglicht, die Einheit des Lebens und des Seins unmittelbar zu erfahren. Jetzt wird auch deutlich und einleuchtend, worin der qualitative Unterschied zwischen der sogenannten „Bergpredigt“, die in den „Seligpreisungen“ gipfelt und dem alttestamentarischen Gottes- und Weltbild besteht. Die Seligpreisungen sind eben keine Ver- oder Gebote im eigentlichen moralischen Sinne, wie der Dekalog und andere unzählige Gesetze es sind, mit denen das jüdische Leben nach dem Willen Gottes gelebt werden soll. Die Seligpreisungen beschreiben eine Haltung, in der die Erfahrung der Seinseinheit Gottes und allen Lebens sichtbar vollzogen wird. Daher sind sie und die Bilder der Bergpredigt der Weg und das Ergebnis zugleich. Weil das „Reich Gottes“ immer schon unter uns weilt und das, „bevor Abraham war“, kann und muss es nicht erreicht werden. Aus dieser Sicht ist das die Botschaft Jesu, die die Bezeichnung der „Frohen“ Botschaft wirklich verdient.
Interpretiert man also Jesus von Nazareth in diesem Sinne als den Kontemplationslehrer, den Lehrer der Einheit allen Seins zu jeder Zeit, so tut das seiner „Göttlichkeit“ keinen Abbruch. In der Einheitssicht bleibt sie vielmehr bestehen.

Worüber wir uns in dieser Haltung aber bewusst werden, ist die unmittelbare Tatsache unserer eigen „Kindschaft“ Gottes, aus der heraus wir die tiefe Bedeutung der Lehre Jesu Augenblick für Augenblick vollziehen. Sie besteht darin, dass wir immer schon und immer nur Töchter und Söhne des lebendigen Gottes sind, also des Lebens und des Seins an sich. Das ist die Frohe Botschaft…

Dr. Alexander Poraj ist Zen-Meister und Mitglied im spirituellen Beirat des Benediktushofes in Holzkirchen. Gerade ist ein außergewöhnliches Buch von ihm erschienen, „Das Willigis-Jahrhundert“
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