Wohin wollen wir?

ClausAllgemein

Die verordneten Kontaktbeschränkungen und Einengungen der persönlichen Bewegungsfreiheit erscheinen vielen Menschen hart. Sie wecken oder verstärken Gefühle der Einsamkeit und auch der Ohnmacht. Man sieht sich einem unsichtbaren Feind ausgeliefert. Und kaum hat das Zurückfahren des öffentlichen Lebens begonnen, wird der Wunsch erdrückend, dass es doch wieder so sei oder zumindest bald werde, wie es einmal war. Das ist verständlich. Gewohnheitstiere brauchen eine in äußeren Bedingungen ruhende Vertrautheit, Sicherheit und Behaglichkeit. Wiederkehrende und unkalkulierbare Veränderungen berühren das Selbstverständnis. Denn sie fordern eine Flexibilität ein, in der die Umstände des Lebens nicht als sichere Burg, sondern als Nomadenzelt verstanden werden. Verlässliche Orientierung findet sich dann weniger im Außen als vielmehr in den Koordinaten des Innen. Da bist du wirklich zu Hause, da ist dein Raum, gleich auch, an welchem äußeren Ort, unter welchen Bedingungen und in welcher Gesellschaft du dich befindest.

Ich erlaube mir dazu ein Urteil.

Die Pandemie in ihren Folgen für Gesellschaft, Staat und Kultur hält uns einen Spiegel vor. In ihm erkennen wir, wenn wir es wollen, unsere tief eingeschliffenen Lebensbahnen. Wie Lokomotiven im Schienennetz kreisen wir in ihnen und können uns keine andere Art der Fortbewegung mehr vorstellen. Stehen alle Signale auf Rot, ist dies nicht Anlass, durchzuatmen und auch im Innern innezuhalten. Vielmehr fiebert die entstehende Unruhe der Weiterfahrt entgegen, selbst dann, wenn uns jegliche Vorstellungen über einen Zielbahnhof fehlen. Es geht uns um die Weise des Reisens auf dem gebuchten Platz, auf den wir glauben, lediglich aufgrund eines entsprechenden Bedürfnisses, auch einen Anspruch zu haben.

„Ich sitze am Straßenrand. Der Fahrer wechselt das Rad. Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?“
(Bertolt Brecht)


Diese vielleicht nachvollziehbare, und trotzdem erstaunliche Trägheit des Geistes findet ihre Bestätigung in der Visionslosigkeit von Politik. Sie zeigt sich, ähnlich wie die meisten Bürger, unfähig, Covid als Ausdruck einer evolutionären Intelligenz zu sehen, welche in die mit kontinuierlich wachsender Gewalt sich ausbreitende Pandemie kapitalistischer Globalisierung und die damit verbundenen Zerstörungen interveniert. Wollte man wirklich, könnte man das virale Geschehen als ein geschenktes Moratorium sehen. Es setzt herrschende Mechanismen und Selbstverständlichkeiten partiell und vorübergehend außer Kraft. Es gibt damit Raum für die Frage, wie wir uns als Menschheit und als Personen neu und lebensdienlich orientieren und aufstellen wollen.

Wenn solches von den Kabinetten und Vorstandsetagen nicht zu erwarten ist, kommt es, wie eigentlich immer, zunächst verstärkt auf jeden einzelnen Menschen an. Und da mag der Rat von Martin Buber (1878-1965) in seinem Buch Pfade in Utopia eine Hilfe sein, dass es nie eine Orientierung im Zurück gibt. Vielmehr gestaltet sich das Leben als Hindurch. Das jedoch, „werden wir nur kommen, wenn wir wissen, wohin wir wollen.“Hindurch, so möchte man präzisieren, in jener Haltung, die das Leben akzeptiert, wie es sich im jeweiligen Moment zeigt und ergibt.

Wir befinden uns in einem historischen Moment. Er fordert unmissverständlich, Antwort auf die Frage zu geben, wohin wir mit dem Menschsein wirklich wollen und in welcher Lebensweise wir uns zukünftig aufzuhalten gedenken. Was er nicht fordert, sind jene endlosen Litaneien, dass wir doch noch Suchende seien und früher eigentlich alles so schön war. Solche etwas kindlichen Ausflüchte lähmen, und – mit Verlaub – sie nerven ein wenig. Alles liegt doch ausgebreitet vor uns, an Information, an Wissen, an Einsicht. Es will nur bewusst und gewollt aufgehoben und ins Leben integriert werden. Und im Innersten haben wir doch schon lange Klarheit darüber…

Covid sollte also gelesen werden als ein Signal, aus der konsumistischen Lethargie herauszutreten. Im Zweifel alleine. Die Weggefährtinnen werden sich beim Gehen zeigen. Überall, wo Menschen massenhaft ziellos umherkreisen, sich über dies oder das beklagen, nach scheinbaren Sicherheiten suchen, sich daran festklammern, die Verbrechen am Lebensraum Erde dabei billigend in Kauf nehmend, muss es einzelne geben, die diesen Kreis verlassen, die gehen und eine Richtung einschlagen. Orientierung braucht Vorbilder und keine Kultur des Jammerns.

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