Verwahrlosung und ein scheiternder Traum

ClausAllgemein

Im Zuge der pandemischen Selbstbespiegelung des Menschen ist aus dem Blick geraten, dass mit kontinuierlich wachsender Verwüstung der Erde das Damoklesschwert der Selbstvernichtung über uns schwebt. Obwohl die alten Gewissheiten und Sicherheiten doch längst begonnen haben, sich aufzulösen, bleibt die Frage, wie wir mit einer Welt und in einer Welt klarkommen, die sich selbstverschuldet an diesen Punkt manövriert hat, unbeantwortet im Raum. Kein Klagegesang erscheint mehr angemessen. Es gilt schlicht zu registrieren, dass genau in diesem Desaster die wohl letzte Chance ruht, an dem noch möglichen Neuen zu weben, während das Alte vergeht und stirbt. Das Gewohnte und Vertraute noch im Blick, ja in der Berührung, wartet das evolutionäre Momentum darauf, dem Vergehenden nicht weiterhin sentimental nachzuhängen und kostbare Energie gar in Rettungsversuchen von Überlebtem zu verschwenden. Das ist leicht formuliert und gesagt, es setzt allerdings wahrhafte Einsichten und ein unbeirrtes Handeln voraus.

So können wir es uns nicht erlauben, die Destruktivität der Gegenwart weiterhin als lediglich eine fehlerhafte und unbedachte Entwicklung anzusehen, die bei frühzeitiger und besserer Erkenntnis hätte vermieden werden können. Vielmehr zeugt der Weg, der hinter uns liegt, von geradezu atemberaubender Geradlinigkeit und Konsequenz. Er spiegelt die dunkle und verhängnisvolle Seite unseres Wesens, die sich im Verlauf der Jahrhunderte derart zu Systemen und Strukturen verfestigt hat, dass notwendige Korrekturen innerhalb der Systeme nicht mehr vorzunehmen sind. Der globale Kapitalismus und der bedenkenlose Verbrauch und Verzehr des auf der Erde gedeihenden Lebens stehen herausragend dafür.

Was entstand an Geist, Rationalität, Ökonomie, Struktur, Technik und Konsum, entspringt keinem evolutionären Zufall. Es war und ist gewollt! Und es hätte mit seiner machtvollen und eindimensionalen Dynamik wohl keine wirklichen Alternativen in der Entwicklung zugelassen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Zerstörung der so genannten äußeren Natur und Umwelt folgte und folgt einer inneren Destruktivität des Menschen. Die Zersiedlung und Verwüstung dieses Planeten wurzelt in der Zerrissenheit unseres Innenlebens. Sie war und ist der Preis für einen langen historischen Prozess der Trennung und der Spaltung. Schrittweise hat sich unsere Gattung aus der äußeren Natur herausgelöst, um sie sich konsumierend wieder neu einverleiben zu können. Damit wandelte sich auch die Identität des Menschen. Zunehmend fand und findet sie sich wieder in dem, was trennt, im Anderssein, in der Differenz zu einem sogenannten Außen. Auf allen Ebenen vollzog sich diese Trennung – zwischen Mensch und Natur, Mensch und Mensch, und sie macht selbst vor dem Göttlichen nicht halt. Wer sich so von seinen Wurzeln und seinem wahren, oder besser: möglichen Wesen trennt, stellt sich außerhalb der Ordnung, der er selbst entstammt. Er sollte die bitteren Konsequenzen der unausweichlich folgenden Verwahrlosung also nicht auch noch selbstmitleidig bejammern.

Es ist der Weg in eine neue Verbundenheit mit dem Leben, der uns allein aus diesem Desaster zu führen vermag. Dabei wird nur eine Liebe, die alles umgreift und dem Lebensstrom selber entspringt, das suchende Menschenkind führen können. Wir sprechen von einer Liebe, die nicht erdacht, nicht geplant, nicht gemacht werden kann. Sie muss in uns erwachen und erwachsen.

Hier nun beginnt jenseits des Stroms alltäglicher Ablenkungen der Weg nach Innen, der Weg der Sammlung, der Weg der Stille, der Weg zu neuer Ausrichtung. Er spiegelt uns Schritt für Schritt unsere seelische Verfasstheit. Er lehrt uns schmerzhaft und in einem oft langen Ringen, loszulassen, sich innerlich und äußerlich zu befreien und in die Erfahrung von allumfassender Verbundenheit einzutauchen. So kann sich möglicherweise zart und langsam eine neue, integrale Liebe regen und in uns ausbreiten, die größer ist als bloß sentimentale Zuwendung. Sie hätte die Kraft, ein neues Zuhause mit einem gewandelten Blick auf die Welt und das Leben zu schenken. Irgendwann könnte man dann nicht mehr anders, als dem Leben bedingungslos zu dienen, verlässlich und treu – so wie echte Liebe sein sollte…

Diesem schönen Traum steht das Zeitdilemma gegenüber. Denn es würde viele Generationen brauchen, bis ein neuer Mensch der verwundeten Erde zu einem neuen Antlitz verhilft. Und es scheint mehr als fraglich, ob es dann überhaupt noch angemessene Lebensbedingungen auf unserem Planeten gäbe.
Noch stärker allerdings dürfte der Einspruch gegen ein Zeitalter der heilsamen Verbundenheit seitens der „dämonischen“ Mächte der Beharrung, der Egomanie und der Konsumsucht wiegen. Sie widerstehen dem Ruf nach einer entgrenzten Liebe und einem Dienst an den Kommenden durch die Verführung im Moment und die fortwährende Vertröstung auf ein besseres morgen.

Zu dem großen Trotzdem gibt es für die Einsichtsvollen zwar keinerlei Alternative; vor allem auch, weil Unvorhergesehenes in jede Richtung nie ausgeschlossen werden kann. Aber es mag sein, dass es im Letzten nur noch der Selbstachtung und einem verhallenden Vorbildcharakter dient. Was in einer zerbrechenden Kultur durchaus nicht wenig wäre…

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