Äußerer Raum und innere Stille

ClausAllgemein

Inmitten des Alltags.
Wir treten heraus.
Ein Schritt über die Schwelle.
Etwas umhüllt nun, was anders ist als „draußen“.
Der Atem wird tiefer, nimmt eine Atmosphäre heilender Ruhe in sich auf.
Sie durchströmt Leib und Seele, besänftigt den unsteten Geist.

Solches geschieht an Orten, die den Menschen erwarten: wenn die Seele betrübt ist, Schmerz, Trauer, Verzweiflung, Einsamkeit oder auch nur eine flüchtige Entwurzelung Wohnstatt in ihm genommen haben; wenn er das hektische, oberflächliche und gedankenverlorene Getriebe um sich herum für eine Weile verlassen will. Um sich wieder zu finden, zu sammeln, auszurichten. Um seine Sehnsucht fließen zu lassen im Gefühl unmittelbaren Angenommenseins.

Manche Kathedralen sind solche Orte, manche Kirchen oder schlichte Kapellen, das ein oder andere Kloster. Durch die Jahre, ja manchmal Jahrhunderte haben sie dieses kraftvolle Charisma aufgebaut und bewahrt. Trotz des gelegentlich gepredigten Verrats an der guten Nachricht, der in Wort und Scheinheiligkeit den behauenen Stein nicht ins Wanken zu bringen und die farbigen Fenster nicht zu trüben vermochte. Die Sehnsuchtsenergien allerdings der unzählbaren betenden, bittenden, klagenden, dankenden, singenden und der Stille vertrauenden Menschen bleiben spürbar. Sie bilden ein Energiefeld, das aus Hingabe gewachsen ist, fern der Rollen und Masken, die den Menschen „zieren“, wenn er den sakralen Raum wieder verlässt. Inmitten des umbauten Ortes, der unerschütterlich für die suchende Seele bereit ist, wird ein Mensch vom Akteur zum empfangenden Gefäß.

Man muss nicht an etwas Bestimmtes glauben, um sich hier willkommen zu fühlen, muss keine formelhaften Sätze kennen und rezitieren und muss sich dafür vor allem gegenüber Niemandem rechtfertigen. Das, was hierhin zieht, reicht!

Solche Räume, die jede Kultur hat, sind Orte des Ankommens, des Durchatmens, des Sich Anvertrauens gerade dann, wenn das Leben in chaotischen Bahnen läuft. Gerade dann, wenn wir mit etwas konfrontiert sind, was wir alleine nicht tragen können.

Vom einen kommend, in den anderen Raum zu gehen, ist in aller scheinbaren Alltäglichkeit eine existentielle Handlung. Ein Übertritt. Eine kleine Einübung auch in den immer schon wartenden Gang über jene Schwelle, die mit dem verbunden ist, was wir den Tod nennen.

Im sakralen, oder wie auch immer genannten Raum, tritt etwas an sich Unsichtbares in Präsenz. Einer der Väter des Bauhauses, Mies van der Rohe, sagte dazu in bauhausmäßiger Schlichtheit und Klarheit:
„Einen Raum bauen heißt, das Unsichtbare sichtbar zu machen, einen Ausschnitt aus dem Unendlichen zu gestalten.“
Das meint nichts anderes, als die Leere zwischen den Wänden, jenen „Zwischenraum“, so zu gestalten, dass er vorbereitet ist für das Geheimnisvolle. Erfüllte Leere nennt man das in asiatischer Spiritualität. Je klarer und schlichter der Raum sich den Sinnen bietet, desto tiefer ist die Wirkung.

Zwei Räume verschmelzen in der Begegnung mit dem Numinosen; der materielle äußere und der innere des Menschen. Beide, Erd- und Seelenenergie, wirken ineinander, verbinden sich zu einem Feld, das keine Grenzen kennt.

Es ist ein dunkler Wintertag, nass, kalt, stürmisch. Früh schon ist die Sonne versunken. Ich suche das Tor der Kirche. Die Atmosphäre umfängt. Ich bewege mich, schauend, orientierend, stehe eine Weile, gehe dann zu einer Bank. Der Raum wandelt sich in akustischer und innerer Stille zu einem ganz eigenen Universum, wirkt nach inneren Gesetzen, die äußere Erwartungen und Regeln unmittelbar außer Kraft zu setzen in der Lage sind. Es berührt. Es verzaubert ein wenig. Es tröstet. Es flüstert: DU! Ich schließe die Augen.

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