Weit darüber hinaus

ClausAllgemein

Wenn es um die Lösung von Konflikten auf unterschiedlichsten Eskalationsstufen geht, haben wir normalerweise nur das im Blick, was sich aus den Interessen und Bedürfnissen der jeweiligen Konfliktparteien offen sichtlich ergibt. „Lösung‘“ kann dann bedeuten:
Man tut erst einmal gar nichts
Partei A oder Partei B setzt sich durch
Man sucht nach einem Teils-Teils bzw. Sowohl-als-Auch
Ein Dritter Weg kommt ins Spiel

In allen Fällen bleiben die beteiligten und die vermittelnden Parteien im Rahmen des Bekannten, der vertrauten Wege und einer Zukunftsarchitektur, die sich aus dem Bisherigen ergibt. Für die heutigen weltweiten Probleme reicht das nicht. Es ist vor allem deshalb untragbar, weil die in Betracht gezogenen Lösungen in der Vergangenheit zumeist eine Mitursache der verfahrenen Situation waren.
Ein von dem norwegischen Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung (*1930) bereits vor Jahrzehnten entwickeltes Verfahren versucht, neue Horizonte zu öffnen. Der Name ist hier bereits Programm: „Transcend“, als das über das Bisherige und Bekannte Hinausgehende. Das bislang nicht Gedachte will gemeinsam entdeckt, erforscht und auf seine Zukunftsfähigkeit hin geprüft sein. Selbstredend kann in diesem Prozess Bewährtes in neuen Konstellationen zu neuer Geltung kommen. Aber es unterliegt zugleich einer Veränderung.

Beziehen wir diese Idee und Vorgehensweise auf die Problemlagen, mit denen sich unsere Welt in dieser Zeit konfrontiert sieht, kommt die Frage auf, von wo und wohin sich der Raum öffnet, in den wir aufbrechen können, ja eigentlich in kürzester Zeit aufbrechen müssten. Was vor allem dient in diesem Prozess der Suche als Navigator?
Die Sehnsucht des Menschen kommt nun ins Spiel. Wir lernen, ihr zu trauen, ja sie vielleicht in ihren Tiefendimensionen überhaupt erst zu erkennen und auszuloten. Als die edelste Kraft des Menschen verbirgt sie hinter manchen glitzernden und verführerischen Vorläufigkeiten einen Raum unerschöpflicher Weite. Dort ruhen die noch unerschlossenen Potentiale, möchte Sehnsucht Gestaltungsraum finden – nach den Gesetzen eines liebenden Lebens. Sie erfährt ihre Inspiration durch den Geist der Urkraft, der wir alle entstammen. Dort ist Heimat. Und die liegt nicht im Irgendwo, sondern im Hier und Jetzt.

Vor dem Hintergrund fließender Sehnsucht in unserem Bewusstsein ordnen sich die Prioritäten neu. Vertrautes gerät auf den Prüfstand. Es wird in der Folge nicht leicht sein, jene Träume und Ideale bürgerlichen Lebens verblassen zu sehen, die sich für das Leben und Überleben als unzureichend oder gar toxisch erwiesen haben. Aber der Raum des Noch-Nicht öffnet sich eben immer nur schrittweise auf jenem Pilgerweg, der vom Loslassen des Alten zum Zulassen des Unbekannten führt. Der Mensch bleibt dabei ausgerichtet auf einen Horizont, dessen Silhouetten zwar einladend strahlen, doch immer eine letzte Unschärfe behalten. Damit es uns weiterzieht, die Zwischenstation nicht als Endpunkt missverstanden wird.

Sich über die Träume eines gelingenden, mit dem Leben versöhnten Seins und über die dahinter stehenden existentiellen Sehnsüchte überhaupt erst einmal im Klaren zu werden und sie dann offen zu legen und zu kommunizieren, wird eine Zukunftsaufgabe von außerordentlicher Dringlichkeit sein. Nur dann lassen sich von der Plattform des Verbindenden die wartenden Schritte gemeinsam gehen. Leben wird in der Folge eine Zukunfts- und Sehnsuchtswerkstatt, in der wir im Zusammenspiel entwerfen, experimentieren, möglicherweise wieder verwerfen, um wieder neu zu gestalten…

Dass die Situation auf unserer Erde wirklich keinerlei Aufschub mehr erlaubt, zeigt nicht nur der neueste Klimabericht. Seine realistische, faktenbasierte Drastik verstört und lässt erschaudern. Wer sehen, hören und vor allem fühlen kann, wird dies in jeder Sekunde spüren, in der er sich  besinnt und durchlässig macht. Vermutlich kommt dann reflexhaft der empörte Aufschrei an die verantwortlichen Institutionen. Doch wenn das Notwendige „nur“ von Politik als Handlungsrahmen und Verhaltensweise verordnet und nicht von der Leidenschaft der Menschen für das Leben getragen wird – dann gibt es keine Chance für eine angemessene Umsetzung. Aus bloßer, nüchterner Notwendigkeit entstand noch nie eine Form von Sein, der wir auch Ästhetik und Erhabenheit attestieren. Und der Anspruch auf diese beiden schönen Kräfte steht im Vordergrund, wenn wir von einem würdevollen Leben für Pflanze, Tier, Mensch und dem Lebewesen Erde insgesamt sprechen.

Im weit darüber hinaus fügen sich die feinen, transzendenten und die planenden, pragmatischen Kräfte der menschlichen Seele respektvoll zusammen. Ratio, Intuition und Imagination bewegen sich aus der Trennung in einen co-kreativen Raum. Dort ist so manches möglich, von dem wir sonst kaum noch zu träumen wagten.

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