Mensch, Tier, Pflanze – unausgesprochen tragen wir diese Stufenfolge der Bedeutung von Leben in uns. Pflanzen stehen ganz unten, sind auf den Dienst an höheren Lebensformen hin gedacht. Zwischen der achtlos zertretenen kleinen Blume und dem Respekt und Geborgenheitsgefühle einflößenden mächtigen Baum, klaffen auf unserer inneren Skala zweifellos Welten. Doch auch die erhabenste Eiche und die schönste Linde müssen fallen, wenn sie die Planungen der Menschen stören oder ihr Holz Gewinn verspricht. An ihrem Nutzwert wird die Pflanze gemessen – dem der Verarbeitung zu Produkten, dem der Nahrung für Mensch und Tier, dem der Zierde für Park, Garten und Haus, dem der Heilung von Körper und Seele.
Vor dem Zusammenhang und Zusammenspiel der Lebensformen auf dem Lebewesen Erde hat dies sicher seine Berechtigung. Mensch und Tier konnten nur zu ihrer Höherentwicklung aufbrechen, weil das Reich der Pflanzen ihnen in unerschöpflicher Vielfalt und Fülle alles zur Verfügung stellte, was sie neben den Elementen zum Leben benötigen. Und doch ist da noch mehr, so viel mehr…
In der Natur verbirgt sich ein Eigensinn und Eigenwert, der über Funktionalität und den Dienstcharakter für andere Lebewesen hinausweist. Ein verschwenderischer Reichtum an Formen, Gestalten, Farben und Gerüchen ziert den Planeten. Es mutet an wie eine glänzende Selbstdarstellung pflanzlicher Wesenheiten. Diese bildet sich nicht nur aus einem Zweckmäßigkeitsgefühl heraus, wie Darwin es lehrte. Dahinter steht eine Formidee, die von Ebenmaß, Harmonie, Ästhetik und Außergewöhnlichkeit bestimmt ist! So kann man wohl sagen, dass das Sein aus sich heraus einem schöpferischen Impuls nach Vollendung folgt. Dieser untersteht noch anderen Gesetzmäßigkeiten als denen, die sich aus der gegenseitigen Verwiesenheit unterschiedlichster Lebensformen ergeben. Pflanzen steht so ein Lebensrecht, ja eine eigene Würde zu, die sich aus ihrem Sein an sich ergeben. Sie atmen und verströmen den Hauch ihrer Einmaligkeit und sind sichtbarer lebendiger Ausdruck des schöpferischen Impulses, dem sie entstammen. Auch in ihnen verwirklicht sich die kosmische Liebeskraft. Auf ihre Weise vermögen sie gar den unsteten Menschen zu überstrahlen.
„Schaut die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.“ (Matthäus 6,28f.)
Obwohl sowohl in jüdisch-christlicher als auch islamischer Tradition ein ganzheitlicher Blick auf die Schöpfung durchaus angelegt ist, bleibt dies für eine religiös begründete Naturethik, in der Pflanzen Selbstwert und Würde zukommt, folgenlos. Hinduismus, Buddhismus und Jainismus setzen demgegenüber deutliche Akzente. Ihre Zuwendung, die zum Teil sicherlich mit der Reinkarnationslehre zusammenhängt, führt zu Respekt und Achtsamkeit auch gegenüber pflanzlichem Leben. Es sind vor allem aber die unterschiedlichen Naturreligionen, die darauf hinweisen, dass auch in Pflanzen etwas seelenhaftes verborgen ist. Hier gilt alles Leben als heilig, so wie es auch die Lebensethik Albert Schweitzers einfordert. Entfernt sich der Mensch von dieser Einsicht, verliert er schließlich alle Ehrfurcht vor dem Leben. Ein Angehöriger der nordamerikanischen Sioux: „Das Herz des Menschen fern von der Natur wird hart. Mangel an Achtung vor dem, was wächst und lebt, führt schnell zu einem Mangel an Achtung vor dem Menschen.“
Der Gedanke von Eigenwert und Würde pflanzlicher Wesen hat mittlerweile auch die Diskussion um den Naturschutz und eine ökologische Ethik erreicht. Eine wachsende Zahl von Biologen, Ökologen, Philosophen und vereinzelt auch Politikern stellt Pflanzen auf eine eigene Rechtsplattform, in Rechtsgemeinschaft mit Mensch und Tier. Die Vorstellung vom Einssein allen Lebens liegt hier nicht mehr allzu weit entfernt. Eingriffe in die Natur durch den Menschen schließt dies selbstredend nicht aus. Sie müssen jedoch auf ethisch zu rechtfertigenden Gründen beruhen, wie vor allem der Herstellung und Bewahrung der Menschenrechte. Wobei an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass die Orientierung an den Menschenrechten keinen Freibrief darstellen darf für unsere maßlose Vermehrung und zugleich noch immer die Produktion von Überfluss. Über allem steht der universale Grundsatz der Lebensdienlichkeit des Tuns; und das richtet sich immer eben auch auf das Reich der Tiere und der Pflanzen und deren Bedürfnisse.
Noch spricht die menschliche Lebenspraxis eine drastisch andere Sprache. Sie speist sich vorherrschend aus Nützlichkeitsdenken, Gier und einem biotechnischen Weltbild. Die Verseuchung der Natur, der Erde, der Gewässer und der Luft; die Versiegelung der Böden, Vernichtung der Wälder, Ausrottung ganzer Pflanzenarten und die mannigfachen Genpanschereien stehen dafür. Doch die Prozesse des Lebens kennen kein Vergessen. Kein widernatürlicher Eingriff bleibt ohne Folgen. Wenn es schon an Einsicht, Einfühlsamkeit und Demut mangelt, wäre die Menschheit aus reinem Selbsterhaltungstrieb eigentlich gezwungen, der Mitwelt mit größerem Respekt zu begegnen. Mehr spricht jedoch dafür, dass wir das zu spät erkennen und Biodiversität weiter zu Monokulturen verkümmert, die allein noch dem Menschen und seiner Fortpflanzung dienen. Die Erde als Plantage – eine von Tag zu Tag realistischer werdende Dystopie.
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