Toxisches Oxymoron

ClausAllgemein

Dass der Widerspruch die geistige Evolution bewegt und Widerspruchstoleranz dabei einen wesentlichen Treiber ausmacht, bedarf ob seiner Selbstverständlichkeit kaum noch der Erwähnung. Kommt es in dem ein oder anderen Fall auch recht unversöhnlich daher, so schwingen doch im Widersprechen und in dem, worauf es sich richtet, immer Optionen mit, die auf eine Lösung, eine Synthese oder ein Darüberhinaus verweisen. Das sieht anders aus, wenn etwas zusammengefügt auftritt, das eigentlich nicht zusammenpasst, ja an sich unvereinbar erscheint.

„Hassliebe“, „bittersüß“, „teuflisch gut“, „stummer Schrei“, „geordnetes Chaos“, „exakte Schätzung“, „vorläufiges Endergebnis“, „Feuerwasser“, „Heiliger Krieg“ oder „Wonneschmerz‘“ mögen als Beispiele dafür dienen. Es handelt sich in diesen Fällen um Oxymora. Sie verbinden logisch sich widersprechende oder in ihrer Bedeutung gegensätzliche Begriffe. Das Wort ist dem Griechischen entlehnt. Oxys meint scharfsinnig, moros dumm, eine Wortkombination, die Oxymoron selbst zu dem macht, was es ausdrücken will.

Der literarische, rhetorische und diskursive Wert eines Oxymorons steht außer Zweifel. Es stellt Aufmerksamkeit her, provoziert zum Nachdenken, dramatisiert; es verdeutlicht die Mehrdeutigkeit einer Situation; es vereinbart Unvereinbares, findet einen Weg, Vielschichtiges auszudrücken. Wir begegnen Oxymora als Stilmittel deshalb epochenübergreifend in den verschiedensten Gattungen der Literatur.
Bittersüß war die Empfindung für den geliebten Feind.

Die Schattenseite des Oxymorons tritt da zu Tage, wo sich politische Propaganda seiner bedient und es ideologisch missbraucht. Zwei aktuelle Beispiele, die einen näheren Blick lohnen: Humaner Krieg und Grünes Wachstum.

Den Krieg humanisieren zu wollen, meint die Aufgabe des Zieles, Krieg an sich zu überwinden. Gerne berufen sich die Protagonisten dabei auf den Mitgründer des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Louis Appia: „Es gibt Krieg, es wird weiter Krieg geben. Versuchen wir doch trotzdem, etwas Menschlichkeit zu wahren.“

Es mag ja der nüchterne Blick auf die Unzulänglichkeiten des Menschengeschlechts zu dem nachvollziehbaren Urteil kommen, dass Menschsein heißt, auch Krieg zu führen. Und es ist außerordentlich zu würdigen, dass es Strategien gibt, schlimmste Exzesse in Grenzen zu halten. Doch Krieg bleibt, was er ist: Besiegen wollen; vernichten, was als Feind definiert; Interessen und Besitzansprüche brutal durchsetzen; den Schwächsten auch noch ihre Würde nehmen. Krieg als solcher kann nie human sein, genau so wenig wie Waffen. Ein entsprechendes Oxymoron suggeriert das Gegenteil und legitimiert indirekt das Grauen. Es gibt der Gewöhnung an kriegerisches Geschehen weiteren Rückhalt, senkt die Eintrittsstufe in einen Krieg und drängt aus dem Blickfeld, worauf sich doch alles fokussieren sollte: Die Überwindung kriegerischen Denkens und kriegerischer Gewalt auf dem Weg in eine Welt, die mit dem Leben versöhnt ist und ihm dient. Dann bedarf es auch nicht mehr der Begleitung von Krieg durch ein Kriegsvölkerrecht, das letztlich Kriege als akzeptabel hinnimmt. Wo ist heute noch ein wirklicher Aufschrei, wenn als „Krieg gegen den Terror“ begründete weltweite Vernichtungsaktionen, durch Präzisionsangriffe mittels Drohnen und „Special Forces“, als humane Kriegsführung verteidigt werden – etwa in Somalia, Pakistan, Afghanistan, dem Jemen und den Orten, von denen die Weltöffentlichkeit nichts oder nur wenig erfährt.

Von humaner Kriegsführung nur scheinbar weit entfernt, liegt grünes Wachstum. Denn hier bildet den Zusammenhang der Krieg gegen die Erde, gegen die Diversität des Lebens und der Lebensformen. Hinter diesem Oxymoron steht die Behauptung, dass Wirtschaftswachstum ökologisch verträglich zu gestalten sei, ja die Wirtschaft wachsen könne, während die ökologische Belastung gleichzeitig sinkt.
Eine dreiste These, die nicht nur die planetarischen Grenzen bewusst ausblendet, was natürliche Ressourcen und Lebensräume betrifft. Vielmehr suggeriert sie, dass sich an der Grundideologie des wirtschaftlichen Handelns nichts ändern muss, ja das goldene Kalb des Kapitalismus unangetastet bleiben kann: Konsum als Selbstzweck und Lebenssinn, mit einer Attitüde des Immer mehr.
 
Das Konzept des grünen Wachstums wurde 2011 veröffentlicht. 34 Staaten hatten darin einer Strategie zugestimmt, Wirtschaftswachstum und Entwicklung zu forcieren und dabei gleichzeitig den Schatz der Natur zu schonen. Ein „Widerspruch in sich“, wie nicht nur der bekannte Wachstumskritiker Niko Paech konstatiert. Es ist darüber hinaus eine radikale Ablenkungsstrategie von der simplen Einsicht, dass es nur einen Umgang mit der Katastrophe gibt, die begonnen hat sich zu vollziehen: Immer weniger … und zwar von fast allem, die Anzahl der Menschen inbegriffen! Mehr bis zum Überfluss darf es allerdings sein, wenn es Liebe, Mitgefühl und die schonende Zuwendung zum Lebewesen Erde betrifft.

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Das Foto zeigt eine vom Dünensand fast verschlungene deutsche Bunkeranlage aus dem 2. Weltkrieg. Das beschämende Erinnerungsstück deutscher Geschichte befindet sich an der Nordwestküste Dänemarks.